Morton Rhu - Leben und Werk
seine Freundin immer mehr, verpetzt Mitschüler und steigt in der Camp-Hierarchie auf. Etwa vier Wochen nach der Flucht kommen seine Eltern, um ihn zu befreien. Sarah hat es geschafft, sie zu kontaktieren und über die schrecklichen Verhältnisse im Camp aufzuklären. Und auch wenn Connors Eltern sich Struktur und Disziplin für ihren Sohn gewünscht hatten, wollten sie doch nicht, dass er misshandelt wird. Sie wollen nun versuchen, das Camp juristisch zu belangen.
Doch Connor ist nur noch ein gebrochener Schatten seiner selbst.
»Bist du von den Aufsehern hier geschlagen, getreten oder auf irgendeine andere Weise verletzt worden?«, fragt mich jetzt der Mann im Mantel. Ich zögere mit der Antwort und registriere den warnenden Blick, den Mr Z mir zuwirft.
»Die beiden haben uns erzählt, du bist geschlagen worden, Connor«, sagt mein Vater.
»Ist das wahr?«
Mr Z sieht mich finster an und schüttelt den Kopf. Meine Mutter bekommt das mit.
»Du kannst die Wahrheit sagen«, fleht sie. »Kümmere dich nicht um diesen Mann. Der spielt jetzt keine Rolle mehr. Wir nehmen dich mit nach Hause.«
»Bist du von den Aufsehern hier geschlagen, getreten oder auf irgendeine andere Weise verletzt worden?«, fragt der Mann im Mantel noch einmal.
Mr Z starrt mich wütend an. Ich habe Angst.
»Sag die Wahrheit«, drängt mein Vater. »Haben sie dir wehgetan?«
»Ich … ich … Ja, Sir, das haben sie. Aber –«
»Aber was?«, fragt mein Vater.
»Aber … ich habe es verdient, Sir.«
In seinem Roman »Die Welle« hat sich Morton Rhue damit auseinandergesetzt, wie Faschismus funktioniert. Auch in »Boot Camp« wird Lake Harmony als autokratischer Unrechtsstaat im Kleinen gezeichnet. Mit willkürlichen Lagerleitern und Aufsehern, die es entweder genießen, die Jugendlichen zu quälen, oder sich aus Angst um ihren Job nicht trauen einzuschreiten. Vor allem sind es die Jugendlichen selber, die durch ihre Angst und ihre Unterwürfigkeit die eigene Unterdrückung möglich machen. Auch wegen dieses interessanten Themas ist »Boot Camp« wie zuvor »Die Welle« und »Asphalt Tribe« in Kürze zu einem Klassiker der Schullektüre geworden.
»Boot Camp« gewinnt darüber hinaus dadurch an Bedeutung, dass sich zwar Psychologen, Sozialpädagogen und vor allem Menschenrechtler immer wieder kritisch zu den US -amerikanischen Einrichtungen äußern, das Thema aber in der (Jugend-)Literatur verhältnismäßig wenig Beachtung erfährt.
So ist in Deutschland während der letzten zehn Jahre nur ein weiteres aufsehenerregendes Jugendbuch erschienen, das sich mit den amerikanischen Umerziehungslagern befasst: »Löcher« von Louis Sacher. Allerdings unterstreicht dieser Roman bei genauerer Betrachtung eher noch die Alleinstellung von »Boot Camp« als engagierte Jugendliteratur, die nicht nur zum Nachdenken über ebendiese Umerziehungsanstalten anregt, sondern auch offen Kritik übt.
Louis Sacher nähert sich dem Thema auf sehr literarische Weise, vermischt Fiktion und Realität und erzählt eine Vielzahl kleiner Einzelgeschichten und berührender Momente, wenn er seinen Antihelden in der Besserungsanstalt Green Lake Tag für Tag Löcher in den Boden graben lässt. Durch die nicht stringent vorangetriebene Handlung und die Liebe zum Detail unterscheidet sich »Löcher« stark von Morton Rhues Roman. Die Lektüre von »Löcher« bereitet den Lesern einen intensiven Lesegenuss und regt zum Nachdenken oder Nachträumen über eine Vielzahl verschiedener, individuell aus dem Roman heraus erfassbarer Themen an. Dagegen verschreibt sich Morton Rhue ganz und gar der Sache, für die er sich einsetzt: Er möchte seine Leser direkt auf einen sozialen Missstand aufmerksam machen und regt letztendlich sogar das aktive Vorgehen gegen solche Missstände an. Dafür wählt er einen simplen, eingängigen Schreibstil und eine klar umrissene Handlung. Diese treibt er dann zügig voran, wobei er einem einfachen Spannungsbogen folgt. In der konsequenten Verwendung ebensolcher Mittel zeigt sich die Bedeutung Morton Rhues für die sozialkritische Jugendliteratur, denn auf genau diesem Weg hat er schon Millionen von jugendlichen Lesern erreicht und sie auf die Themen gestoßen, die ihm am Herzen liegen.
Hinzu kommt, dass Morton Rhues Geschichten aktuell bleiben. »Im Namen der Liebe« heißt beispielsweise ein sehenswerter amerikanisch-deutscher Dokumentarfilm des Regisseurs Jon Bang Carlsen, der im April 2012 auf Arte erstmals ausgestrahlt wurde. Darin wird
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