Morton Rhu - Leben und Werk
noch problematischeren Form von Boot Camps: nämlich mit solchen, die nicht für Straftäter gedacht sind – sondern für Jugendliche, die ihren Eltern »Schwierigkeiten« bereiten. Alle Minderjährigen können hier auf Veranlassung der Eltern einer Umerziehung unterzogen werden, solange die je nach Status der Einrichtung sehr hohen Gebühren – bis zu 4000 Dollar im Monat – von den Eltern bezahlt werden. Anders als bei den offiziell angeordneten Boot Camps für jugendliche Straftäter ist der Aufenthalt in diesen Umerziehungslagern zeitlich nicht beschränkt – eine Grenze stellt einzig das Erreichen der Volljährigkeit dar.
In eben so ein Boot Camp wird Morton Rhues Romanheld Connor von seinen Eltern gesteckt. Aus der packenden Sicht des Sechzehnjährigen gibt Rhue Einblicke in das Innere eines Umerziehungslagers und baut dabei nicht nur einen großen Spannungsbogen, der sich bis zum tragischen Finale dehnt, sondern wirft auch gesellschaftlich relevante Fragen auf: Wie sollen Bürger einer funktionierenden Gesellschaft aussehen? Wie viel Gehorsam soll bzw. darf man von Jugendlichen erwarten? Und die vielleicht wichtigste Frage: Wie weit dürfen Eltern gehen, wenn ihnen dieser Gehorsam verweigert wird?
Connors Eltern gehen sehr weit. Obwohl ihr Sohn zu den besten Schülern seiner Klasse gehört, nie straffällig geworden ist und keine Probleme mit Rauschmitteln hat, lassen sie ihn gegen seinen Willen in ein Boot Camp verfrachten. Nur weil Connor sich weigert, die Beziehung zu seiner zehn Jahre älteren Lehrerin aufzugeben, muss er in ein Boot Camp. Liebe ist hier der Auslöser für eine familiäre Katastrophe. Morton Rhues Entscheidung, kein klassisches Problemkind – also beispielsweise einen Schlägertypen oder einen Beinah-Junkie – ins Boot Camp zu schicken, könnte man als beschönigend kritisieren, da die meisten der in solchen Lagern »Inhaftierten« selten aus romantisch-sentimentalen Gründen dort einsitzen. Gleichwohl bietet Connors sympathischer Charakter den jungen Lesern eine gute Identifikationsfolie und das Thema Boot Camp wird auf diese Weise emotional näher an sie herangerückt. Dass die menschenunwürdige Behandlung von Jugendlichen ein großes Problem ist, fühlen bei und nach der Lektüre alle Leser – und damit gelingt es dem Autor, ein Unrechtsbewusstsein zu schaffen, das sich grundsätzlich gegen ebendiese menschenunwürdigen Zustände richtet. Ob der Betroffene ein sympathischer Connor ist oder ein aggressiver Schlägertyp, tritt dabei in den Hintergrund.
Die Beziehung Connors zu seiner Lehrerin ist vor allem für Connors Mutter, die als Chefin einer PR -Agentur um die Fragilität des guten Rufs weiß, völlig untragbar. Als die Eltern nicht mehr weiter wissen, empfiehlt eine Bekannte die Erziehungsanstalt »Lake Harmony«.
In deren Broschüre steht: Auch andere Programme zur Verhaltensänderung versprechen Ergebnisse, aber Lake Harmony hält sein Versprechen. Das Kind, das die Behandlung in Lake Harmony absolviert hat, ist das Kind, das Sie sich immer gewünscht haben.
Der Roman »Boot Camp« bezieht seine Qualität auch aus der Klarheit, mit der Morton Rhue Kritik übt. Gerade in unserer Zeit, in der Unrecht manchmal so lang von allen Seiten betrachtet wird, bis es schließlich in einer unklaren Argumentationslage zu verschwinden droht, ist es wichtig ein Buch zu lesen, das Missstände nicht verklärt, sondern deutlich benennt und kritisiert.
Rhue bringt nur wenig Verständnis auf für Eltern, denen die Erziehung zu viel wird und die versuchen, sie wie eine lästige Hausarbeit auszulagern.
Dafür, dass jemand anderes ihr Kind jetzt »richtet«, sind Connors Eltern, die zur New Yorker Upperclass gehören, auch gerne bereit, die hohen Gebühren für das Camp zu bezahlen. In ihrer scheinbar perfekt geeichten Welt ist kein Platz für einen Sohn, der aus der Reihe tanzt. Und so wird Connor von zwei bezahlten Kidnappern, die sich Transporteure nennen, nach Lake Harmony gebracht.
Lagerqual
An seinem ersten Tag in Lake Harmony liest Connor »die Bibel«, ein Buch mit den Regeln des Lagers:
»Du bist jetzt ein Bewohner von Lake Harmony. Wie lange du hierbleibst, liegt bei dir. Du wirst entlassen, wenn man dich für so respektvoll, höflich und gehorsam erachtet, dass man dich zu deiner Familie zurückschicken kann. Während deines Aufenthaltes hier wirst du, abgesehen von Briefen an deine Eltern, keine Verbindung zur Außenwelt haben. Nach sechs Monaten dürfen deine Eltern dich
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