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Mosaik

Mosaik

Titel: Mosaik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Taylor
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größeren Reiz auf sie aus.
    Eine sonderbare Ruhe senkte sich auf Kathryn herab, als sie darüber nachdachte. Die Stimme ihrer Mutter wurde zu einer sanften, melodischen Euphonie, die Frieden schenkte. Sie sah Phoebe an und lächelte, trachtete danach, die Freude in den Augen ihrer Schwester zu übersehen.
    »Ich vertrete mir ein wenig die Beine«, sagte Kathryn nach dem Essen.
    Ihre Mutter hob besorgt den Blick. »Dort draußen wütet ein Schneesturm…«, gab sie zu bedenken.
    »Eine gute Idee«, warf Phoebe rasch ein. »Nichts wirkt so belebend wie ein Spaziergang im Schnee. Ich komme mit.«
    Kathryn lächelte erneut. »Während der letzten Tage waren wir praktisch immer zusammen. Wird’s nicht langsam Zeit, daß ich auch allein etwas unternehme?«
    Phoebe hob und senkte die Schultern. »Wie du meinst. Aber bleib nicht zu lange fort. Und nimm ein Handlicht mit.«
    Fünf Minuten später verließ Kathryn das Haus, in einen dicken Parka gehüllt. Sie hielt den Kopf gesenkt, stemmte sich dem Heulen des Windes entgegen. Der von den Böen durch die Nacht geschleuderte Schnee war körnig und schabte wie Sand über die Wangen. Kathryn stapfte durch den Sturm und wollte zur alten Weide, aber in dem weißen Wüten um sie herum verlor sie schon nach wenigen Metern die Orientierung.
    Eine Zeitlang ging sie einfach und gab die Suche nach dem Baum schließlich auf. Sie begnügte sich damit, in Bewegung zu bleiben, wobei die Richtung überhaupt keine Rolle spielte. Es dauerte nicht lange, bis sie das Gefühl hatte, auf einem fremden, toten Planeten unterwegs zu sein.
    Auf einem toten Planeten. Auf einem Planeten der Toten. Einer Welt aus Schnee und Eis. Unwillkommene Bilder tauchten in ihr auf, so plötzlich und unbarmherzig, daß Kathryn der Atem stockte. Ärger und Wut vibrierten in ihr. Sie war
    hierhergekommen, um zu vergessen, doch statt dessen öffneten sich alte Wunden. Kathryn ging schneller, als sei es möglich, den gräßlichen Bildern und Gedanken auf diese Weise zu
    entkommen.
    Einige Minuten lang lief sie fast, hielt den Kopf dabei auch weiterhin gesenkt und wußte gar nicht, wohin die Füße sie trugen.
    Dann blieb sie stehen, atmete tief durch und beobachtete, wie die ausgeatmete Luft vor ihr kondensierte. Langsam drehte sie sich im Kreis, starrte in die Nacht und in wirbelnden Schnee. Wenn sie sich hinlegte, würde der Schnee eine Decke formen, die sie umhüllte und immer dichter wurde, sie vor Visionen von Eisbergen und hungrigen Fischen schützte.
    Eigentlich war es ganz leicht. Sie brauchte nur zu Boden zu sinken, eine ganz natürliche Sache, die kaum eine bewußte Entscheidung erforderte.
    Genau in diesem Augenblick hörte sie das Geräusch. Beim erstenmal hielt sie es für eine Laune des Windes und achtete nicht darauf. Doch dann ertönte es erneut, und diesmal war es deutlicher: ein klagendes, verzweifeltes Winseln.
    Erst jetzt schaltete Kathryn ihr Handlicht ein, ließ den Strahl hin und her gleiten, während sie nach der Ursache des Geräuschs suchte. Doch das Licht verlor sich im Schneegestöber, ohne irgendwelche Einzelheiten zu offenbaren.
    Die junge Frau lauschte aufmerksam, während sie ihre Schritte in die Richtung lenkte, aus der das Winseln kam.
    Aus den Augenwinkeln sah sie etwas auf dem Boden und
    richtete den Schein des Handlichts darauf.
    Zuerst schien es sich um eine hellbraune Schlange zu handeln.
    Doch das Etwas bewegte sich nicht wie eine Schlange, sondern trippelte auf kurzen Beinen. Kathryn brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was sie sah: einen jungen, haarlosen Welpen, nicht älter als einige Wochen. Die Beine waren so kurz, daß der Körper beinahe im kalten Schnee versank. Erneut winselte der kleine Hund, ein mitleiderweckender Laut, der von Kälte und Einsamkeit kündete. Er fand Kathryns Stiefel und ließ sich sofort darauf nieder, schien zu glauben, eine sichere Zuflucht gefunden zu haben.
    Kathryn hob ihn hoch und fühlte dünne Knochen unter der Haut des Welpen. Er war bereits unterkühlt und schien seine letzte Kraft bei dem Versuch aufgewendet zu haben, sie zu erreichen.
    Sie schob das kleine Tier unter den Parka und spürte, wie das Herz des Hundes rasend schnell klopfte. Einige Sekunden lang befürchtete sie, daß er ausgerechnet jetzt starb, nachdem er einen warmen Ort entdeckt hatte. Doch allmählich beruhigte sich der Welpe, und er schien sogar ein wenig wärmer zu werden.
    Kathryn begriff, daß sie nach Hause zurückkehren mußte. Der Hund brauchte Nahrung und

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