Moser Und Der Tote Vom Tunnel
»Ah ja, ein Knopf aus Hirschgeweih; wohl von einem Mantel«, murmelte Moser. »Wissen Sie, ob der von der Kleidung des Toten stammt?«, wandte er sich an Sehnert. Dieser schaute den Knopf genau an und ärgerte sich, dass seine Mitarbeiter, die den Fundort angeblich genau abgesucht hatten, diesen nicht entdeckten. »Nein, Herr Kriminalrat. Das glaube ich kaum. Koloman hatte eine dünne Kutte mit billigen Knöpfen an. Weder sein Wams noch seine Hose besaßen solche teuren Hornknöpfe«, erwiderte Sehnert.
»So, so, interessant, interessant. Stammt also vielleicht vom Täter. Wir werden sehen …«, meinte Moser. »Weitere Spuren werden wir hier und in der Umgebung sonst keine mehr finden. Der Schnee und das Tauwetter haben alles verwischt. Wir sollten nun auf dem schnellsten Weg ins Eisenbahnerlager. Ich will möglichst noch heute Morgen die Kameraden von diesem Koloman befragen.«
Die drei Männer gingen vorsichtig den Hang bis zur Straße hinunter, wo die Kutsche wartete. Der Abstieg war noch beschwerlicher als der Aufstieg. Moser strauchelte mehrfach und ärgerte sich, womit er es verdient hatte, ausgerechnet im Februar einen Fall im Pfälzerwald untersuchen zu müssen.
Die Sachen des Toten
Sehnert ließ die Kutsche an der Baracke des Bauleiters halten. Es stellte sich heraus, dass Kettenring zu einer Baustelle in der Nähe von Hauenstein gerufen worden war, wo es technische Schwierigkeiten gab. Die Herren wurden vom Vorarbeiter empfangen, der sich als Daniel Helfrich vorstellte. Moser wünschte, zunächst die Baracke zu sehen, die zur Unterbringung der ungarischen Arbeiter diente, sowie den Spind von Koloman.
Auf dem Weg dorthin erfuhr er von Helfrich, dass nur ein Teil der zu dieser Sektion gehörenden Arbeiter im Lager untergebracht war. Die Deutschen wohnten entweder zu Hause, sofern sie aus der Gegend waren, oder hatten sich Privatunterkünfte in der Umgebung gesucht. Auch ein Teil der Italiener zog es vor, bei den Bauern zu nächtigen; oft unter unwürdigen Bedingungen und zu einem stolzen Preis. Lediglich die Ungarn wohnten geschlossen im Lager.
Helfrich führte die Herren zu einer etwas abseits am Westrand der Siedlung stehenden Baracke. »Wissen Sie, die Ungarn fühlen sich anscheinend als was Besonderes«, erklärte Helfrich. »Sie haben so gut wie keinen Kontakt zu den anderen Arbeitern und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Andererseits haben sie sich auch noch nie an einem der nächtlichen Gelage beteiligt, die ab und an unter unseren Arbeitern stattfinden. Kettenring musste schon mehrere Männer wegen solcher nächtlichen Umtriebe entlassen, ein Ungar war bisher noch nicht dabei. Aber die anderen tuscheln über die verschwiegenen und irgendwie unheimlichen Kameraden in dieser Baracke; da gibt es einige Gerüchte, sage ich Ihnen …«
»So, welche?«, wollte Moser wissen.
»Nun ja; sie sitzen meistens in ihrer Baracke und lassen Sliwowitz und Wodka kreisen. Dann fangen die so merkwürdig an zu murmeln und zu singen. Klingt irgendwie traurig. So, als ob sie auf was warten, was einfach nicht kommt. Einige von den anderen Arbeitern behaupten, dass diese Männer nicht mehr nach Hause zurückkönnen und deshalb so traurig sind. Wahrscheinlich haben die dort was verbrochen und sind geflohen. Jedenfalls sieht es so aus, als ob die sich alle schon sehr lange kennen …«, erzählte Helfrich.
Die Männer traten in die düstere Baracke. Einige der Pritschen waren belegt, das Schnarchen war unüberhörbar. Neben dem Eingang standen mehrere grau gestrichene Blechspinde. Helfrich sagte, der dritte Spind von rechts sei der des Toten, jedoch letzte Woche bereits geöffnet und von der Polizei untersucht worden. »Offensichtlich fehlte nichts. Wir haben nichts Außergewöhnliches gefunden«, erklärte Greiner.
Moser wollte den Inhalt des Spindes trotzdem noch einmal selber in Augenschein nehmen.
Die Habseligkeiten des Toten waren ärmlich. Neben zerschlissener Kleidung und einem Paar ehemaliger Militärstiefel befand sich tatsächlich außer einer beschädigten Gipspfeife nichts in dem Spind; keine Papiere oder sonstigen Gegenstände, die auf Identität und Herkunft des Mannes hindeuteten, der sich Zoltán Koloman nannte.
Moser durchsuchte die Taschen der Hose, die sich im Spind befand, und wurde fündig. »Aha«, meinte er. »Da haben wir ja etwas«, und zog ein mehrfach gefaltetes Papier hervor, das er mit dem von Sehnert geliehenen Taschentuch festhielt. Sehnert wurde mulmig zumute. Warum
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