Moser Und Der Tote Vom Tunnel
stellte Moser fest.
»Ah, der Gegenzug, jetzt geht es gleich weiter. Das ist ja die WEINBIET, dann steht sicher der Kleine-Hans auf dem Bock«, meinte Breith und begrüßte seinen Kollegen mit einer Folge von kurzen Pfiffen.
Der Heizer schaufelte ordentlich Kohlen in den Bauch von ›LUDWIG II‹. Breith erklärte, dass es nach der Station Münchweiler eine leichte Steigungen gab, weshalb mehr Dampf nötig war. Der Münchweiler Tunnel, mit dem die Wasserscheide zwischen Saar und Rhein unterfahren wurde, bildete den Scheitelpunkt der Strecke. Östlich des Tunnels ging es kontinuierlich bergab bis zur sogenannten kleinen Wasserscheide bei Hauenstein, wo die Eisenbahntrasse als offener Einschnitt durch den Fels gesprengt war.
»So, Herr Kriminalrat, nun kommt gleich der Münchweiler Tunnel. Da vorne sehen Sie schon das Portal. Wenn sich dort ein Waggon selbstständig machen würde, könnte er ohne Maschinenkraft langsam, aber stetig bis nach Landau rollen, so gut ist unsere Strecke mit ihrem leichten Gefälle trassiert.«
Moser wurde beim Anblick des immer näher kommenden Tunnels mulmig zumute. Er starrte gebannt durch das kleine, verschmutzte Fenster in der Frontseite des Führerstands über den Kessel nach vorne. Immer wieder versperrten Dampfschwaden die Sicht und Moser merkte, wie wenig der Lokführer den Fahrweg beobachten konnte. Auch wenn man sich aus dem Seitenfenster beugte, gab es nur ein eingeschränktes Blickfeld. Sollte irgendein Hindernis auf den Schienen liegen oder würde sich eine Person mit Selbstmordabsichten dem Zug in den Weg stellen …Nicht auszudenken! Und dann noch der lange Bremsweg vorhin beim Halt in Münchweiler. Der Beruf des Lokführers war wirklich nichts für ihn.
Das Tunnelportal kam immer näher. Die zerklüfteten senkrechten Felswände zu beiden Seiten der Bahnlinie hatten dicke Eiszapfen, die auf Moser bedrohlich wirkten. Er konnte sich auch kaum vorstellen, wie es damals möglich war, diesen Einschnitt in nur zweijähriger Bauzeit in den Sandsteinfels zu sprengen.
Vor dem Tunnel erkannte der Kriminalrat einen Eisenbahner neben den Gleisen, der eine rote Fahne schwenkte. Breith betätigte den Regler und verminderte die Geschwindigkeit. Dennoch verspürte Moser einen kaum auszuhaltenden Druck auf den Ohren, als die Lokomotive in den Tunnel fuhr. Der Zug verursachte in der engen Röhre einen Höllenlärm mit vielfachem Echo; Moser klammerte sich an der Wand des Führerhauses fest. Er duckte sich unter der Rauchfahne, die aus dem Kamin der Maschine ausgestoßen wurde und unmittelbar über den Führerstand hinwegzog. Nach einer kleinen Biegung konnte man in weiter Entfernung am Ende des Tunnels einen kleinen hellen Punkt erkennen.
Breith meinte: »Sehen Sie, Herr Kriminalrat, da hinten ist der Tunnel schon zuende. Es dauert nur ein paar Minuten …«
Moser kam es so vor, als ob der Lichtschein immer weiter wegrückte, je näher der Zug dem Tunnelende kam. Es musste sich wohl um eine optische Täuschung handeln.
Die Fahrt durch den Tunnel mit seinem rußgeschwärzten Gewölbe kam dem Kriminalrat endlos vor. Vor allem das Kreischen der Schienen und das Stoßen der Lok, das in der Tunnelröhre fast noch stärker als auf freier Strecke spürbar war, erschienen ihm unerträglich.
Nach einiger Zeit tauchte eine Signallaterne auf. Breith meinte: »Na, jetzt haben Sie es gleich geschafft. Hier beginnt die Langsamfahrstelle!« Er reduzierte die Geschwindigkeit noch weiter. Die Lokomotive stieß eine feuchte, weiße Dampfwolke aus und rollte gemächlich aus dem Tunnel.
Zunächst konnte Moser vor Dampf und Rauch nichts erkennen, dann sah er unmittelbar nach dem Tunnelportal den Wassergraben neben den Gleisen und das kleine Brückchen.
Dem Kriminalrat, dessen Ohren noch immer unter den Auswirkungen des Drucks im Tunnel litten, kam es so vor, als würde die Maschine fast stehen.
Er sagte zum Lokführer: »Sehen Sie Herr Breith, das ist die Stelle. Genau hier müssen die Gewehrteile abgeworfen worden sein. Wie schnell fahren wir denn momentan?«
»Etwa zehn Stundenkilometer. Würden wir hier schneller fahren, wäre die Gefahr für die Gleisbauarbeiter an der Baustelle beim Posten von Krautwurst viel zu groß. Es sind nur noch wenige Meter bis zur Stelle des Explosionsunglücks, man kann von dort aus aber einen aus Westen heranrollenden Zug erst erkennen, wenn er unmittelbar neben einem steht. Deshalb fahren wir hier schon seit vorigen November auf einem
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