Moskauer Diva
strahlte eine solche natürliche Autorität aus! Sie war stets zu spüren, trat aber in diesen Augenblicken der Krise besonders deutlich zutage. Ach, wenn er doch so viel Macht und Einfluss besäße wie Schustrow! Aber Erast war nur ein »Reisender«, ein Einzelgänger. Er konnte sich mit Dshingis Khan nicht messen. Jedenfalls würde sie nie und nimmer Fandorins Leben aufs Spiel setzen. Sollte er weiterleben, sollte er Stücke schreiben. Eine Ehe mit Schustrow würde nicht nur sie selbst retten, sondern auch Erast! Wenn der Khan, allgegenwärtig wie Satan, Wind davon bekäme, dass sie mit dem Autor
zusammen gewesen
war, wäre das Fandorins Ende. Sie musste sich von ihm fernhalten, obwohl sie sich nichts mehr wünschte, als ihr Gesicht an seiner Brust zu bergen, ihn ganz fest, mit aller Kraft, zu umklammern – und dann komme, was da wolle.
Dieser frevelhafte Wunsch war nach einem langen Gespräch mit dem Japaner fast unerträglich geworden.
Eines Abends nach der Probe (am siebzehnten Oktober, einem Montag) hatte sie Masa gebeten, sie zum Hotel zu begleiten. Sie mochte nicht mit dem Auto fahren, denn es war ein herrlicher Herbstabend, doch allein zu gehen, fürchtete sie sich – hinter jeder Ecke wähnte sie den Schatten von Dshingis Khan. Auch der Gedanke an einen Abend in ihrem leeren Hotelzimmer und die schlaflose Nacht machte ihr Angst. Außerdem wollte sie über
ihn
reden.
Das unterwegs begonnene Gespräch wurde bei einem Abendessen im »Massandra« und anschließend im Hotelfoyer fortgesetzt. In ihr Zimmer bat Elisa ihren Bühnenpartner nicht – damit Dshingis Khan, sollte er sie beobachten, keinen eifersüchtigen Verdacht hegte. Sie durfte das Leben des netten »Michail Erastowitsch« nicht in Gefahr bringen. Sie mochte ihn immer mehr. Seinen sympathischen, mitunter leicht lispelnden Akzent fand sie nicht lächerlich – nach fünf Minuten bemerkte sie gar nicht mehr, dass Masa manche russische Laute falsch aussprach. Der Japaner entpuppte sich nicht nur als begabter Schauspieler, sondern auch als ein höchst angenehmer Mensch. Erast hatte großes Glück mit seinem Freund.
Ach, wie viele neue, wichtige Dinge über ihren Geliebten Elisa von ihm erfuhr! Sie bemerkte gar nicht, wie die Nacht verflog. Sie waren gegen Mitternacht aus dem Restaurant gekommen, hatten sich in die bequemen Sessel gesetzt, Tee bestellt (Masa mit Quarkgebäck) und geredet und geredet. Irgendwann entdeckten sie, dass es draußen schon hell wurde. Sie ging hinauf in ihr Zimmer, machte sich frisch, zog sich um, dann frühstückten sie zusammen im Hotelbüfett, und schon war es Zeit, zur Probe zu fahren.
So offen und vertraut hatte Elisa noch nie mit jemandem gesprochen. Und zwar über die Dinge, die sie am meisten bewegten. Was für eine Freude, mit einem Mann zu reden, der einen nichtschmachtend ansieht, sich nicht spreizt und nicht versucht, einen zu beindrucken. Wassja Prostakow gehörte auch nicht zur Spezies der Verehrer, sondern war ein Freund, aber als Gesprächspartner taugte er weniger. Weder sein Verstand noch seine Lebenserfahrung oder seine Beobachtungsgabe konnten sich mit denen des Japaners messen.
Die Nacht war unmerklich verflogen, weil sie über die Liebe geredet hatten.
Masa erzählte von seinem »Herrn« (so nannte er seinen Taufpaten). Wie edel, talentiert, mutig und klug dieser sei. »Er liebt Sie«, sagte der Japaner, »und das quält ihn. Das Einzige auf der Welt, wovor er Angst hat, ist die Liebe. Weil alle, die er geliebt hat, umgekommen sind. Er gibt sich die Schuld an ihrem Tod.«
Elisa zuckte zusammen. Wie sehr ähnelte das ihrer eigenen Situation!
Sie fragte genauer nach.
Masa erzählte, dass er die erste Frau, die sein Herr geliebt und verloren hatte, nicht kennengelernt habe. Das sei sehr lange her. Die zweite aber habe er gekannt. Das sei eine sehr, sehr traurige Geschichte, an die er nicht zurückdenken wolle, denn dann müsse er weinen.
Dann erzählte er sie doch – sie war exotisch und ungewöhnlich, ganz im Geiste des Stücks über die zwei Kometen. Er weinte tatsächlich, und auch Elisa weinte. Der arme Erast Petrowitsch! Wie grausam das Schicksal mit ihm umgegangen war!
»Spielen Sie mit ihm nicht die üblichen Spiele der Frauen«, bat Masa sie. »Er taugt dafür nicht. Ich weiß, Sie sind Schauspielerin, Sie können nicht anders. Aber wenn Sie ihm gegenüber nicht aufrichtig sind, verlieren Sie ihn. Für immer. Das wäre sehr traurig für ihn, und ich glaube, auch für Sie. Denn einem
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