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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Masa betastete und befühlte er Dewjatkin. Der schrie auf. Auch er lebte.
    »Eine außerordentlich kräftige K-konstitution. Er ist mit einem Schlüsselbeinbruch davongekommen«, resümierte Erast Petrowitsch und wandte sich zum Saal um. »Es ist alles vorbei, beruhigen Sie sich! Wer möchte, kann aufstehen. Wer zu erregt ist, bleibt lieber sitzen. Meine Herren Schauspieler, bringen Sie den Damen etwas Wasser! Und Salmiakgeist.«
    Vorsichtig, noch nicht ganz überzeugt von ihrer Rettung, erhoben sich einige. Als Erste sprang die Durowa auf.
    »Fassen Sie ihn nicht an! Sie tun ihm weh!«, schrie sie Masa an, der die Handgelenke des Assistenten mit einem Gürtel fesselte.
    »Er verdient Zwangsarbeit! Er hätte uns alle beinahe umgebracht!« Mefistow drohte Dewjatkin mit der knochigen Faust. »Ich werde vor Gericht aussagen! Oh, und wie ich aussagen werde!«
    Noah Nojewitsch wischte sich mit einem Taschentuch die Glatze ab.
    »Hören Sie auf, Mefistow, was reden Sie da von Gericht? Er ist verrückt.« Der Direktor der »Arche« lebte zusehends auf. Seine Stimme wurde kräftiger, sein Blick funkelte. Der Regisseur erklomm die Bühne und baute sich in majestätischer Pose vor dem stöhnenden Dewjatkin auf.
    »Glückwunsch zum phänomenalen Misserfolg, mein unbegabter Schüler. Ein Künstler mit einer derart spezifischen Begabung gehört in die von mir bereits erwähnte Klapsmühle. Dort werden progressive Behandlungsmethoden angewandt, ich glaube, es gibt sogar einen Laienspielzirkel. Wenn Sie ein wenig geheilt sind, können Sie den ja leiten.«
    Plötzlich stürzte Stern beinahe. Die Durowa sprang ihn von hinten an und stieß ihn beiseite.
    »Unterstehen Sie sich, ihn zu verspotten! Das ist gemein! Georgi Iwanowitsch ist krank!« Sie kniete nieder und wischte Staub und Schmutz von Dewjatkins Stirn. »George, ich liebe Sie trotzdem! Ich werde Sie immer lieben! Ich werde Sie im Krankenhaus jeden Tag besuchen! Und wenn Sie wieder gesund sind, bringe ich Sie fort. Das ganze Unglück ist, dass Sie sich eingebildet haben, ein Titan zu sein. Aber Sie brauchen gar kein Titan zu sein! Titanen müssen sich die ganze Zeit anstrengen und sind darum unglücklich. Ein kleiner Mensch zu sein ist besser, glauben Sie mir. Sie sehen doch, wie klein ich bin. Genauso werden auch Sie sein. Wir sind füreinander geschaffen. Das werden Sie bald verstehen. Nicht gleich, aber bald.«
    Der vom Schmerz ganz betäubte Dewjatkin konnte nicht sprechen. Er versuchte nur, sich von der
Närrin
loszumachen. Nach seiner Grimasse zu urteilen, wollte er kein kleiner Mensch werden.
    »Nun denn, Kollegen«, rief Noah Nojewitsch. »Der Soloabend war sehr effektvoll! Schade nur, dass wir kein Publikum hatten. Das wird uns doch niemand glauben, wenn wir davon erzählen. Die Leute werden denken, wir hätten das alles nur gespielt, hätten selber überall Sprengstoff versteckt, um der Reklame willen … Übrigens«, flüsterte er, auf einmal besorgt, »der Sprengstoff kann doch nicht plötzlich einfach so detonieren? Ich flehe Sie an, seien Sie nicht so laut! Xanthippa Petrowna, schreien Sie doch nicht so!«

Nach dem Soloabend
    Rekonstruktion
    Die Liebende sagte dem Mann, der beinahe das Theater in die Luft gejagt hätte, wunderbare Worte. Dann kam ein Krankenwagen, und Sanitäter führten den gefesselten Verrückten hinaus, ihn behutsam von beiden Seiten stützend. Die gutherzige Reginina vergaß den durchlebten Schrecken, legte dem niedergeschlagenen Assistenten einen Mantel um die Schultern und bekreuzigte den Kranken sogar.
    Die Menschen empfinden Mitgefühl für Verrückte, dachte Fandorin, und das ist wahrscheinlich richtig. Dabei bringen psychische Störungen, die man als Manien bezeichnet, die gefährlichsten Verbrecher der Welt hervor. Sie sind von stahlharter Zielstrebigkeit, absolut furchtlos und äußerst erfinderisch. Die größte Bedrohung sind Psychopathen mit Größenwahn. Menschen, die nicht vom kleinen Dämon der Gier besessen sind, sondern vom Dämon der Weltveränderung. Und wenn es ihnen nicht gelingt, die Welt nach ihren Vorstellungen zu verändern, sind sie bereit, alles Leben zu vernichten. Glücklicherweise ist noch kein Herostratos imstande, den Tempel des Lebens in Schutt und Asche zu legen, dazu braucht man einen längeren Arm. Aber der Fortschritt schafft immer gewaltigere Zerstörungsmittel. Der bevorstehende Krieg – der wohl leider unvermeidlich ist – wird unerhört blutig sein. Er wird nicht nur auf dem Boden und auf den Meeren

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