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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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eine
idée fixe
taucht auf, deren Unwiderlegbarkeit den Betreffenden blendet und sein ganzes Bewusstsein beherrscht – und aus, es gibt kein Zurück mehr.
    Für George war die Wahnidee von den elf Einsen und der einen Neun eine solche Idee gewesen. Sie war offenbar unvermittelt entstanden, in einem Augenblick totaler Verzweiflung, und hatte Dewjatkin durch ihren Glanz bestochen. Dennoch war er anfangs noch bereit gewesen, die Welt zu verschonen, sie nicht zu zerstören. In seiner ersten Notiz hieß es: »
Besinnt euch!«
    Der künftige Soloakteur gab der Theater-Welt eine solche Chance. Er tötete Smaragdow, der ihm nicht nur die Rolle »gestohlen«, sondern sich auch noch dreist und provokant an Elisa herangemacht hatte. Dewjatkins Plan war offensichtlich und schien zunächst auch aufzugehen. Der Regisseur übertrug seinem Assistenten für die Proben die Rolle des Lopachin, bis ein Ersatz für Smaragdow gefunden sein würde. Kein Zweifel: Hätte Stern, wie er es vorhatte, eine Berühmtheit von außen engagiert, Leonidow oder jemand anderen, hätte das russische Theater einen weiteren Verlust erlitten. Kurz vor der Premiere wäre dem Lopachin-Darsteller ein Unglück zugestoßen, und Dewjatkin hätte die Rolle übernehmen müssen. Doch dann tauchte Fandorin mit seinem japanischen Drama auf, und der mit solcher Präzision ausgearbeitete Plan brach zusammen.
    Als dem Assistenten klar wurde, dass er nicht auf Elisas Liebe hoffen konnte, verschrieb er sich ganz seiner apokalyptischen Idee. In den nächsten Notizen, die mit jeder neuen »Eins« im Kalender auftauchten, war von »Besinnung« nicht mehr die Rede. Das Urteil war gefällt und bestätigt. Die Theater-Welt würde in die Luft fliegen,und Elisa, die nicht seine irdische Braut geworden war, würde seine himmlische Braut werden.
    Die Braut aber musste bis zur Hochzeit unbefleckt bleiben. Darum wurde jeder, den der »Bräutigam« verdächtigte, es auf ihre Keuschheit abgesehen zu haben, vernichtet.
    So starb der junge Dummkopf Limbach. Die Besucherkarte für die Schauspieleretage hatte der Kornett natürlich vom Regieassistenten bekommen. Der junge Mann war bestimmt begeistert gewesen von der Idee, in Elisas Garderobe auf sie zu warten – um sie unter vier Augen zur Premiere zu beglückwünschen …
    Die Szene war kunstvoll inszeniert worden. Wenn manische Persönlichkeiten von einer Überidee beherrscht werden, können sie bekanntlich außergewöhnlichen Einfallsreichtum entfalten. Der Messerschnitt quer über den Bauch sollte an die Drohung des Husaren erinnern, Harakiri zu begehen. Für den Fall, dass er damit nicht durchkam (Dewjatkin wusste bereits, dass Fandorin ermittelte und dass er darin sehr erfahren war), hatte er sich abgesichert. Erstens hatte er sich ein Klappmesser besorgt, die Waffe der Moskauer Kriminellen. Zweitens hatte er mit Blut die Buchstaben »Li« an die Tür geschrieben. Ein gerissener Trick, der seinen Zweck erfüllte. Falls die Polizei oder Fandorin nicht an »Harakiri« glauben sollten, konnte man eine andere Entschlüsselung des angefangenen Namens nahelegen – was Dewjatkin sehr geschickt getan hatte. Er hatte wie nebenbei das Gespräch auf die Vergangenheit von Mr. Swist gebracht, und bevor der richtige Name des ehemaligen Polizisten fiel, trat der Psychopath rasch in den Schatten. Er wusste, dass der Köder geschluckt werden würde.
    Erast Petrowitsch musste sich schweren Herzens eingestehen, dass er viele Fehler gemacht hatte. Dass er sich lange von dem Mörder hatte an der Nase herumführen lassen.
    Am ärgerlichsten war, dass die allererste Hypothese, die offensichtlichste, ihn sofort zu Dewjatkin geführt hatte. Doch der hattesich herauswinden und sich sogar Fandorins Vertrauen erschleichen können … Beschämend, sehr beschämend!
    Der Grundfehler bestand darin, dass Erast Petrowitsch Smaragdows Vergiftung für einen kaltblütigen, sorgfältig geplanten Mord gehalten hatte, dabei war es die Aktion eines Künstlers gewesen, der ohne zu zögern auch sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Fandorin hatte leider nicht erraten, dass der Mörder mit Smaragdow gespielt hatte, mit der gleichen Chance für beide, und dabei sein eigenes Schicksal versucht hatte. Streng genommen war es kein Mord gewesen, sondern ein Duell. Nur wusste der arme Ippolit nichts davon – er wusste nicht, dass er, indem er den Kelch wählt, sein Los entscheidet. Höchstwahrscheinlich hatten die beiden Trinkgenossen angestoßen und dann beide den Kelch

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