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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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toben, sondern auch in der Luft und unter Wasser, überall. Dabei hat das Jahrhundert erst angefangen, und der technische Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Der tragikomischeGeorge Dewjatkin ist nicht nur ein verunglückter Regisseur, der vor lauter künstlerischem Ehrgeiz den Verstand verloren hat. Er ist der Prototyp einer neuen Spezies von Schurken. Sie werden sich nicht mit einem Theater als Modell des Lebens begnügen; sie werden die ganze Welt zu einer gewaltigen Bühne machen und darauf ihre Stücke aufführen wollen, wobei der Menschheit die Rolle gefügiger Statisten zugedacht ist, und wenn das Stück durchfällt, werden sie mit dem Welttheater untergehen wollen. Genau so wird das Ganze enden.
    Verrückte, besessen von ihrem Größenwahn und der Schönheit ihrer Pläne, werden die Erde in die Luft jagen. Die einzige Hoffnung ist, dass sich Menschen finden, die ihnen rechtzeitig Einhalt gebieten. Solche Menschen werden dringend gebraucht. Ohne sie ist die Welt zum Untergang verurteilt.
    Aber diese Menschen sind nicht allmächtig. Sie sind verletzlich, haben Schwächen. Zum Beispiel ein gewisser Erast Petrowitsch Fandorin, konfrontiert mit einer Katastrophe von keineswegs globalem, sondern eher spielzeughaftem Ausmaß, hätte beinahe zugelassen, dass das Modell des Lebens vernichtet wird. Es muss eingestanden werden, dass sein Verhalten in dieser absurden Geschichte kläglich war.
    Natürlich gab es mildernde Umstände.
    Erstens war er nicht ganz bei sich. Er war blind, taub, hatte die Klarheit des Denkens eingebüßt und die Selbstkontrolle verloren. Beide Seiten – der Ermittler ebenso wie der Täter – waren in einem Zustand der Verrücktheit gewesen, jeder auf seine Weise.
    Zweitens war es schwierig, sich in den Labyrinthen der künstlichen Welt, wo das Spiel echter ist als die Realität, die Widerspiegelung interessanter als das Wesen, die Artikulation die Gefühle ersetzt und unter der Maske die wahren Gesichter nicht erkennbar sind, nicht zu verirren. Nur im Theater, nur unter Theaterleuten konnte ein Verbrechen mit derartigen Motiven und in derartiger Gesellschaft geschehen.
    Der kleine Offizier vom entlegenen Rand des Imperiums hätte brav weiter seinen Militärdienst geleistet wie Tschechows Soljony und seine dämonischen Ambitionen vor den Garnisonsdamen entfaltet. Doch der Wirbelsturm des Theaters, der bis in dieses asiatische Nest gelangt war, hatte den Fähnrich erfasst, vom Boden losgerissen und fortgetragen.
    Der kleine Mann wollte plötzlich ein großer Künstler werden, und um diese unersättliche Gier zu stillen, war er bereit, was auch immer und wen auch immer zu opfern, einschließlich sich selbst.
    Seine Liebe zu Elisa war ein verzweifelter Versuch, sich ans Leben zu klammern, der Selbstvernichtung zu entgehen, zu der ihn seine Kunstbesessenheit zog. Und in der Liebe handelte Dewjatkin genau wie Fähnrich Soljony: Er begann eine lächerliche Belagerung des Objekts seiner Begierde, war rasend eifersüchtig und vernichtete auf grausame Weise seine erfolgreichen Rivalen, die Tusenbachs.
    Was konnte lächerlicher sein als der Trick mit der Schlange? George war gleich zur Stelle gewesen und hatte als Einziger nicht den Kopf verloren, weil er selbst die Schlange in den Korb gelegt hatte. In der zentralasiatischen Steppe hatte Dewjatkin vermutlich gelernt, wie man mit Reptilien umging – ein solches
Hobby
passte zu einem dämonischen Fähnrich. (Vergessen wir nicht, dass Dewjatkin ein Fläschchen mit Kobragift besaß, mit dem er die Florettspitze präpariert hatte.) Er wusste, dass der Biss einer Septemberviper nicht sonderlich gefährlich ist, und hatte sich absichtlich beißen lassen. In der Absicht, bei der Schönen Dame heiße Dankbarkeit zu wecken, aus der dann Liebe erwachsen sollte. Dankbarkeit hatte George geerntet, aber er wusste nicht, dass Dankbarkeit und Liebe bei Frauen in verschiedene Zuständigkeiten fallen.
    Gleichzeitig mit dieser Enttäuschung erlebte er eine weitere, künstlerische. Die Rolle des Lopachin, auf die er so gehofft hatte, bekam nicht er, sondern Ippolit Smaragdow. Erschüttert von der Undankbarkeit Sterns, seines angebeteten Lehrers, rebellierte derAssistent – wie einst ein anderer Assistent, der Engel Satan, sich gegen den Vorzeitlichen Lehrer erhoben hatte. Bei jeder manisch geprägten Persönlichkeit, die stets an der Grenze zur Verrücktheit balanciert, besteht die Gefahr des Umschlags in eine andere Qualität. Ein Schalter im Gehirn wird umgelegt,

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