Moskauer Diva
geleert – die »dämonische Persönlichkeit« wollte das Schicksal versuchen, ihre Auserwähltheit bestätigt sehen.
Genauso verfuhr Dewjatkin mit Fandorin, der auf seine Spur gestoßen war – nur nicht mit Wein, sondern mit einem vergifteten Florett. Bestimmt hatte George die effektvollen Intermedien mit tödlichem Ausgang als genialen Regie-Einfall betrachtet! Doch Erast Petrowitschs stetiges Glück hatte ihn auch diesmal nicht im Stich gelassen. Der Jäger wäre beinahe in seine eigene Falle getappt, kam aber noch einmal heraus – dank seiner enormen Findigkeit und der Falschaussage der in ihn verliebten Durowa, die ihn (da war er sich sicher gewesen) gedeckt hatte.
Diese riskante Episode brachte den »Künstler des Bösen« nicht zur Vernunft. Die krankhafte Idee von einem Soloabend hatte sich in seinem entzündeten Gehirn zu sehr festgesetzt. Es war leichter, auf den Glauben an das Schicksal zu verzichten. »Das Schicksal ist blind«, hatte Dewjatkin gesagt. »Nur der Künstler ist sehend!«
Er war zweifellos ein begabter Schauspieler. Stern hatte diesen »Darsteller drittklassiger Rollen« unterschätzt. In der Rolle des unbeholfenen, aber edlen Dummkopfs hatte George großes Talent bewiesen.
Die Operation in Sokolniki war für ihn recht gefährlich gewesen. Seine ganze sorgfältig konstruierte Lügengeschichte hätte zusammenbrechen können, hätte Fandorin Zarkow in die Enge getrieben und ihn zu einem offenen Gespräch gezwungen. Wahrscheinlich hatte sich der Psychopath, als er mit Erast Petrowitsch durch den nächtlichen Park ging, gefragt, ob es nicht sicherer wäre, dem allzu eifrigen Ermittler eine Kugel in den Rücken zu jagen. Doch das Gefühl sagte dem Manipulator, dass er das besser unterließ. Allein Fandorins Gang (der Tigergang des aktionsbereiten Shinobi) zeigte, dass ein solcher Mann unmöglich zu überrumpeln war.
Dewjatkin handelte geschickter. Er lockte die Pinscher vom Haus weg und kehrte zurück, um zu lauschen. Sobald Fandorins Gespräch mit Zarkow eine unerwünschte Richtung nahm, erschien George auf der Bühne – wieder ohne die geringste Furcht im Angesicht der Gefahr. Der Trick funktionierte. Erast Petrowitsch jagte wie der letzte Trottel auf falscher Fährte durch halb Europa. Zum Glück hatte er wenigstens kein Schiff nach Amerika bestiegen. Dann hätte er morgen, am 12. November, in der »New York Times« von der rätselhaften Explosion in einem Moskauer Theater gelesen …
Bei der Ermordung Schustrows, eines weiteren hartnäckigen Bewerbers um die Braut, maskierte sich Dewjatkin kaum noch. Er gestattete sich die unvorsichtige Kreativität, den Hals seines Rivalen mit elf Strichen zu verzieren. Doch selbst anhand dieses Hinweises war Fandorin nicht in der Lage, die Absicht des Täters rechtzeitig zu erkennen und den psychopathischen Soloabend abzuwenden. Gefangen in seinem Konflikt zwischen Verstand und Gefühl, hätte Erast Petrowitsch beinahe zugelassen, dass die Truppe, dieses Molekül der Menschheit, zugrunde geht.
Wenn Fandorin den Prediger Salomo las, ruhten seine Augen oft auf der Zeile, in der es hieß »wenn die Hüter im Hause zittern« und dachte: Die Hüter des Hauses dürfen nicht zittern. Sie müssen fest sein, die Augen offenhalten und Gefahr rechtzeitig abwenden. Dasist ihre Mission, ihr Weg, der Sinn ihres Daseins. Er selbst zählte sich sein Leben lang zu den Hütern. Doch nun – er hatte gezittert, hatte Schwäche gezeigt. Über das Haus, das er hüten wollte, wäre beinahe die Apokalypse hereingebrochen.
»Genug gezittert«, sagte sich Erast Petrowitsch, als die Sanitäter den Kranken hinausgeführt hatten und die hysterische Spannung im Saal sich ein wenig gelegt hatte. Ich bin ein reifer Mensch, ich bin ein Mann. Schluss mit den Kindereien.
Er ließ sich auf dem Sitz neben Elisa nieder, die als Einzige nicht geschrien, nicht mit den Armen gefuchtelt, nicht entsetzt aufgeschrien, sondern still dagesessen hatte, trübe vor sich hin blickend.
»Schluss, der Alptraum ist v-vorbei. Die Schimäre hat sich aufgelöst. Ich habe einen Vorschlag.« Er ergriff ihre eiskalte, schlaffe Hand. »Lassen Sie uns nicht Leben spielen, sondern leben.«
Die letzten Worte schien sie nicht gehört zu haben.
»Vorbei?«, wiederholte Elisa und schüttelte den Kopf. »Nicht für mich. Mein persönlicher Alptraum hat sich nicht aufgelöst.«
»Sie reden von Ihrem früheren Mann? Von Khan Altaïrski? Er ist es doch, den sie ›Dshingis Khan‹ nennen?«
Sie richtete
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