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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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…«
    Die letzten Worte sagte er ganz leise.
    »Wie meinen Sie das – v-vermint?«, krächzte Noah Nojewitsch. Ihm versagte die Stimme. »Mit B-bomben?«
    »Ach, Erast Petrowitsch, Sie haben mir den ganzen Effekt verdorben!«, verkündete Dewjatkin, als wäre er beleidigt. »Das wollte ich erst zum Schluss sagen. Technische Präzisionsarbeit! Die Sprengladungen sind so berechnet, dass die Explosionswelle allesim Saal vernichten wird, ohne das Gebäude selbst zu beschädigen. Das nennt man ›Implosion‹. Was sich außerhalb der Grenzen unserer Welt befindet, interessiert mich nicht. Das mag meinetwegen stehenbleiben. Ruhe, Damen und Herren Schauspieler!«, schrie er sein in Bewegung geratenes Publikum an. »Was gackern Sie so aufgeschreckt? Warum greifen Sie sich ans Herz, Lehrer? Sie selbst haben doch immer gesagt: Die ganze Welt ist eine Bühne, und die Bühne ist die ganze Welt. Die ›Arche Noah‹ ist die beste Truppe der Welt. Wir alle, Reine wie Unreine, sind ein ideales Modell der Menschheit! Wie oft haben Sie uns das gepredigt, Lehrer?«
    Stern rief kläglich: »Das stimmt. Aber warum uns in die Luft sprengen?«
    »Es gibt zwei höchste Akte der Kreativität: Schöpfung und Vernichtung. Also muss es wohl zwei Typen von Schöpfern geben: die Künstler des Guten und die Künstler des Bösen, respektive die Künstler des Lebens und die Künstler des Todes. Und es ist sehr die Frage, wessen Kunst höher steht! Ich habe Ihnen treu gedient, ich habe von Ihnen gelernt, ich habe darauf gewartet, dass Sie meine grenzenlose Treue und meinen Fleiß würdigen werden! Ich war bereit, mich mit der Rolle des Künstlers des Lebens zufriedenzugeben, mit der eines Theaterregisseurs. Aber Sie haben mich verhöhnt! Sie haben meine Rolle dem nichtigen Smaragdow gegeben. Sie haben gesagt, ich sei Ihr Diener für alles, die ewige Nummer neun. Und da habe ich mein eigenes Stück geschrieben! Mein großartiger Soloabend! Sie hier sind elf gleichberechtigte Schauspieler, alle spekulieren auf gute Rollen, alle möchten die Nummer eins sein. Sie sind Einsen, ich dagegen bin nur eine Neun. Würdigen Sie die Schönheit meines Stückes: Ich habe einen Punkt gefunden, an dem elf Einsen mit einer Neun zusammentreffen. Genau um 11 Uhr 11 Minuten am 11. Tag des 11. Monats im Jahr 1911«, Dewjatkin lachte laut, »wird unser Theater in den Himmel fliegen. Sobald auf dem Zähler der elektrischen Uhr die Ziffern 11:11 erscheinen,gibt es Blitz und Donner. Doch sollten Sie sich einfallen lassen aufzumucken, werde ich selbst den Detonationsknopf drücken – hier, ich halte meinen Finger darauf. Das Dach und die Wände dieser Arche werden unser Sarkophag sein! Geben Sie zu, Lehrer, ein so wundervolles Stück hat es seit Herostratos 1 nicht gegeben! Geben Sie das zu – und gestehen Sie ein, dass der Schüler seinen Lehrer überflügelt hat.«
    »Ich gebe alles zu, was Sie wollen, nur drücken Sie nicht auf den Knopf! Schalten Sie die Uhr ab!«, flehte Noah Nojewitsch, ohne den Blick von der linken Hand des Verrückten zu wenden – sie ruhte fest auf der Schatulle. »Ihre Idee mit den Zahlen ist einzigartig, phänomenal, genial, wir alle würdigen Ihre Schönheit, wir alle sind begeistert, aber …«
    »Halten Sie den Mund!« Der Assistent riss die Pistole herum und richtete sie auf den Regisseur, und Stern biss sich auf die Zunge. »Auf der Welt existiert nichts außer der Kunst. Sie ist das Einzige, wofür es sich zu sterben lohnt. Das haben Sie tausend Mal gesagt. Wir alle sind Künstler, und mein Soloabend ist der höchste Akt der Kunst. Also freuen Sie sich mit mir!«
    Plötzlich sprang die kleine Durowa auf.
    »Und die Liebe?«, schrie sie durchdringend. »Was ist mit der Liebe? Die ganze Welt ist keine Bühne, die ganze Welt ist Liebe! Mein Gott, ich liebe dich so sehr, und du begreifst es nicht! Du hast eine Hirnentzündung, du bist krank! George, ich tue alles für dich, ich brauche niemanden außer dir! Richte diese Menschen nicht zugrunde, was bedeuten sie dir schon? Sie wissen deine Seele nicht zu schätzen, also zum Teufel mit ihnen! Ich werde dich für uns alle anbeten! Komm, gehen wir hier weg, komm!«
    Sie streckte die Arme nach ihm aus. Elisa war trotz aller Erstarrung und allen Entsetzens gerührt, obgleich sie den Monolog einwenig übertrieben dramatisch fand. Sie selbst hätte diese Worte anders gesagt – ohne Geschrei, in leisen Halbtönen.
    »Ach ja, die Liebe!« Dewjatkin schielte nach unten – auf das elektrische

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