Moskauer Diva
Japanisch.
»Ja«, antwortete Masa gewichtig. »Ich bin ein Held.«
Erast Petrowitsch bemerkte zurückhaltend: »Schon möglich. Aber ob du ein Held bist oder nicht, sollten lieber andere entscheiden.«
»Sie irren, Herr. Jeder Mann entscheidet selbst, ob er ein Held ist oder nicht. Er muss die Entscheidung treffen und sich dann daran halten. Ein Mann, der erst beschließt, ein Held zu sein, es sich dann aber anders überlegt, ist ein trauriger Anblick. Und ein Mann, der in der Mitte seines Lebens plötzlich vom Nichthelden zum Helden wird, riskiert, sein Karma zu verderben.«
Erast Petrowitsch schob sich die Autobrille auf die Stirn und warf einen besorgten Blick auf seinen Beifahrer – ob dieser vielleicht delirierte.
»Geht es auch etwas verständlicher?«
»Ein Held widmet sein Leben dem Dienst an einer Idee. Die Idee oder die Person, der er dient, spielt dabei keine Rolle. Ein Held kann eine Frau und Kinder haben, aber besser, er hat keine. Traurig ist das Los einer Frau, die ihr Schicksal mit einem Helden verbindet. Noch mehr zu bedauern sind die Kinder. Es ist schlimm, aufzuwachsen mit dem Gefühl, dass der Vater stets bereit ist, sich für seinen Dienst zu opfern.« Masa seufzte tief. »Anders sieht es aus, wenn man ein Nichtheld ist. Ein solcher Mann entscheidet sich für die Familie und dient ihr. Er darf kein Held sein. Das wäre das Gleiche wie ein Samurai, der seinen Herrn verrät, um sich vor der Menge hervorzutun.«
Fandorin hörte ihm interessiert zu. Masas philosophische Erörterungen waren mitunter recht originell.
»Und welcher Idee dienst du?«
Der Japaner schaute ihn gekränkt und erstaunt an.
»Das fragen Sie noch? Vor dreiunddreißig Jahren habe ich Sie gewählt, Herr. Ein für allemal, fürs ganze Leben. Frauen verschönen manchmal – recht oft – mein Dasein, aber ich verspreche ihnen nie viel und gehe nie eine Verbindung ein mit einer Frau, die von mir Treue erwartet. Ich habe schon jemanden, dem ich diene, sage ich dann.«
Da schämte sich Erast Petrowitsch. Er räusperte sich verwirrt, um den Kloß in seinem Hals zu lösen. Masa sah, dass sein Herr verlegen war, verstand den Grund dafür aber falsch.
»Sie machen sich Vorwürfe wegen Ihrer Liebe zu Elisa-san? Das sollten Sie nicht. Meine Regel gilt nicht für Sie. Wenn Sie eine Frau von ganzem Herzen lieben wollen und fühlen, dass das Ihrem Dienst nicht schadet, dann nur zu.«
»Aber … aber worin besteht denn deiner Ansicht nach mein Dienst?«, fragte Fandorin vorsichtig und erinnerte sich an seine Gedanken über die »Hüter des Hauses«.
Der Japaner zuckte unbekümmert die Achseln.
»Keine Ahnung. Das ist mir egal. Es genügt, dass Sie eine Idee haben und ihr dienen. Meine Idee sind Sie, und ich diene Ihnen. Das ist alles ganz einfach und harmonisch. Von ganzem Herzen zu lieben ist natürlich ein großes Risiko. Aber wenn Sie die Meinung eines Mannes hören wollen, der etwas von Frauen versteht: Eine Frau wie Elisa-san würde am besten zu uns passen.«
»Zu uns?«
Erast Petrowitsch sah den Japaner streng an, doch Masas Blick war klar und offen. Augenblicklich wurde Fandorin in aller Deutlichkeit klar, dass der Japaner nie etwas mit Elisa gehabt hatte, nicht gehabt haben konnte. Nur mit seinem getrübten Verstand hatte Fandorin sich einbilden können, dass Masa die Erwählte seines Herrn als ganz gewöhnliche Frau betrachten könne.
»Sie wollen doch nicht, dass zwischen uns eine eifersüchtige Frau tritt, die mich hasst, weil uns beide vieles verbindet? Jede normale Gattin würde das tun. Eine Schauspielerin dagegen ist etwas anderes. Sie hat nicht nur ihren Mann, sie hat auch das Theater. Sie braucht nicht hundert Prozent der Aktien, ihr genügen neunundvierzig.«
Das Automobil hüpfte über Straßenbahngleise und überquerte den Sadowoje-Ring.
»Du hast ernsthaft vor, mich zu verheiraten?«, fragte Fandorin, ins Russische wechselnd. »Aber w-wieso?«
»Damit Kinder kommen und ich sie untellichten kann. Eine Sohn«, ergänzte Masa nach kurzem Überlegen. »Einem Mädchen kann ich kaum etwas Gutes beibelingen.«
»Und was würdest du meinem Sohn beibringen?«
»Das Wichitigeste. Das Sie ihm nich beibelingen können, Herr.«
»Interessant! Was kann ich denn meinen Sohn nicht beibringen?«
»Glückelich sein.«
Maßlos erstaunt, wusste Fandorin nicht gleich, was er darauf antworten sollte. Er hätte nie gedacht, dass sein Leben von außen betrachtet unglücklich wirkte. War Glück nicht die Abwesenheit von
Weitere Kostenlose Bücher