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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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wusste.
    Die Konstruktion einer logischen Linie schuf die Illusion, dass nichts Besonderes geschehen war. Eine Ermittlung wie jede andere, die Welt stand nicht kopf.
    Die Angst von Frau Altaïrskaja war berechtigt. Es gab eine reale Gefahr. Das zum ersten – Erast Petrowitsch reckte einen Finger und ertappte sich dabei, dass er lächelte.
Sie ist keine törichte Spinnerin, keine Psychopathin!
    Offensichtlich hatte sie einen erbitterten Feind mit einer perversen Phantasie. Oder Feinde. Das zweitens.
Wie konnte man sie hassen?!
    Nach der theatralischen Inszenierung des Attentats zu urteilen, musste man den Schuldigen vor allem in der Truppe oder in ihrer nächsten Umgebung suchen. Unwahrscheinlich, dass jemand ohne Zutritt zur Hinterbühne das Reptil in den Korb gesetzt haben konnte. Aber das musste überprüft werden. Das drittens.
Und wenn die Schlange sie gebissen hätte? O Gott!
    Er musste ins Theater gehen, sich alles genau ansehen und vor allem Frau Altaïrskaja-Lointaine zum Reden bringen. Das viertens.
Ich werde sie wiedersehen! Ich werde mit ihr sprechen!
    Dieser innere Monolog, bei dem aufgewühlte Gefühle ständig die Arbeit des Verstandes störten, währte bis zum Morgen.
    Schließlich, der Morgen graute bereits, sagte sich Fandorin: Was zum Teufel ist das? Ich glaube, ich bin krank. Er ging zu Bett und zwang sich, zu entspannen und einzuschlafen.
     
    Drei Stunden später stand er ausgeruht auf, absolvierte seine üblichen Leibesübungen, nahm ein eiskaltes Bad und balancierte zehn Minuten lang auf einem über den Hof gespannten Seil. Die Kontrolle über sein Innenleben war wieder hergestellt. Erast Petrowitschfrühstückte mit Appetit und sah die von Masa gebrachten Moskauer Zeitungen durch: Ein kurzer Blick auf die Trauerschlagzeilen – und rasch auf die Seite mit den Vorkommnissen.
    Selbst die Blätter, die keine Rubrik Theaterkritik hatten, erwähnten die Vorstellung in der »Arche Noah« und die Schlange. Die einen voller Entsetzen, andere mit geistreichen Bemerkungen, aber ausnahmslos alle schrieben darüber. Die Hypothesen der Reporter (Schauspielerneid, ein abgewiesener Verehrer, ein übler Scherz) waren uninteressant, weil allzu offensichtlich. Die einzige nützliche Information, die Fandorin aus dieser Lektüre schöpfte, war, dass dem gebissenen Schauspieler (Herrn Dewjatkin) ein Gegengift gespritzt worden war und er sich außer Gefahr befand.
    Mehrmals rief die aufgeregte Olga Knipper-Tschechowa an, aber Masa hatte Anweisung, zu sagen, sein Herr sei nicht zu Hause. Fandorin wollte weder Zeit noch geistige Energie mit sentimentalen Gesprächen verschwenden. Die konnte er besser nutzen.
     
    Der Direktor der »Arche Noah« empfing den Gast am Bühneneingang, drückte ihm mit beiden Händen die Hand und führte ihn in sein Büro – ganz die Herzlichkeit in Person. Am Telefon war er Fandorin ein wenig misstrauisch vorgekommen, hatte aber sofort in ein Treffen eingewilligt.
    »Der Wille von Frau Tschechowa ist mir heilig«, sagte Stern und dirigierte Erast Petrowitsch in einen Sessel. Seine aufmerksamen schmalen Augen musterten das undurchdringliche Gesicht des Besuchers, den eleganten cremefarbenen Anzug und verharrten schließlich auf den Krokodillederschuhen. »Sie hat gestern angerufen und um eine Freikarte für Sie gebeten, aber es war schon zu spät, es gab keinen einzigen guten Platz mehr. Olga sagte, sie werde sich ohne meine Hilfe arrangieren, äußerte aber den Wunsch, ich solle mir nach der Vorstellung Zeit für Sie nehmen. Heute Morgen rief sie an, um zu fragen, ob unsere Begegnung stattgefunden habe …«»Ich wollte Sie gestern nicht behelligen, angesichts der Umstände.«
    »Ja, ja, ein ungeheuerliches Vorkommnis. Das Geschrei hinter den Kulissen! Und die Aufregung im Publikum!« Die schmalen Lippen des Regisseurs verzogen sich zu einem wonnevollen Lächeln. »Aber was ist der Grund Ihres Besuchs? Frau Tschechowa hat es mir nicht erklärt. Das werde Herr Fandorin mir selbst erzählen … Verzeihung, was ist Ihr berufliches Metier?«
    Erast Petrowitsch beschränkte sich auf die Beantwortung der ersten Frage.
    »Frau Tschechowa meint, Ihre Jugendliche Heldin …« Er stockte kurz. Er wollte den Namen sagen, unterließ es aber. »… sei in Gefahr. Der gestrige Zwischenfall beweist, d-dass Olga Leonardowna recht hat. Ich habe versprochen, mich darum zu kümmern.«
    Im scharfen Blick des Theatererneuerers blitzte Neugier auf.
    »Ach, sind Sie etwa ein Hellseher? Ich habe gehört, in

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