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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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jeder von ihnen mit seinem Rollenfach fest verwachsen ist. Sie feilen auch außerhalb der Bühne ständig an ihrer Figur!«
    Erast Petrowitsch, der die Zusammensetzung der Truppe bereits auswendig gelernt hatte, fragte: »Und was für ein Rollenfach besetzt der Gott Pan, der gestern solchen M-mut bewiesen hat? Sein Name, Dewjatkin 13 , weckt doch keinerlei Assoziationen.«
    »Er ist der zweite Regisseur, mein unersetzlicher Assistent, mein Mädchen für alles, er ist so viel wert wie neun Personen. Und übrigens der Einzige, abgesehen von mir, der unter seinem echten Namen agiert«, erklärte Stern. »Ich habe ihn in einer grauenhaften Provinztruppe aufgelesen, wo er herzlich schlecht Heldenrollen spielte, und zwar unter dem Pseudonym ›Lermont‹ 14 , obwohl er eher aussieht wie Hauptmann Soljony 15 . Jetzt ist er an seinem Platz und von unschätzbarem Wert, ohne ihn bin ich wie ohne Hände. Das ist nämlich das Eigentliche: In meinem Theater ist jeder an seinem Platz. Jeder, bis auf Smaragdow vielleicht.« Die Stirn des Regisseurs bildete tragische Falten. »Ich bedaure, dass ich mich von seinem beeindruckenden Äußeren und seinem Anhang aus unzähligen Verehrerinnen blenden ließ. Der Held muss von einem Helden gespielt werden, aber unser guter Ippolit ist nur ein Pfau mit bunten Federn.«
    Doch das Genie blieb nicht lange traurig. Erneut leuchtete sein Gesicht triumphierend auf.
    »Mein Theater ist ideal! Wissen Sie, was ein ideales Theater ist?«
    Fandorin verneinte.
    »Ich will es Ihnen erklären. Das ist ein Theater, in dem es alles Notwendige gibt und nichts Überflüssiges, denn ein Zuviel ist für eine Truppe ebenso schädlich wie ein Zuwenig. Die Schwierigkeit besteht darin, dass es auf der Welt nur sehr wenige ideale Stücke gibt. Wissen Sie, was ein ideales Stück ist?«
    »Nein.«
    »Das ist ein Stück, in dem alle Rollenfächer vertreten sind. Als klassisches Beispiel gilt ›Verstand schafft Leiden‹. Aber so schreibt heute niemand mehr, doch man kann nicht endlos von der Klassik leben. Das wird dem Publikum bald langweilig. Schön wäre etwas ganz Neues, Exotisches, mit dem Odem einer anderen Kultur. Sagten Sie nicht, Sie hätten in Japan gelebt? Sie sollten etwas über Geishas und Samurais übersetzen. Seit dem Krieg liebt das Publikum alles Japanische.« Er lachte. »Ein Scherz. ›Der Kirschgarten‹ ist ein fast ideales Stück. Es hat genau so viele Rollen, wie ich brauche. Einiges muss korrigiert werden, klarer gezeichnet, dann wird es eine ausgezeichnete Maskenkomödie, ganz auf Charaktere gegründet, ohne die üblichen Tschechowschen Halbtöne. Wir werden ja sehen, mein lieber Konstantin Sergejewitsch 16 , wessen Garten üppiger blüht!«
    »Ich heiße Erast Petrowitsch«, erinnerte ihn Fandorin und verstand nicht, warum Stern ihn so mitleidig ansah.
    Die Besatzung der »Arche«
    Auf der Versammlung der Truppe, die im Künstlerfoyer stattfand, stellte der Regisseur Fandorin wie verabredet kurz als einen Anwärter auf die Stelle eines »Stücke-Suchers« vor, also eines Dramaturgen. Stern hatte ihm erklärt, diese Funktion gelte als weniger wichtig und die Schauspieler würden sich vor einer so unbedeutendenFigur weniger spreizen. Genau so war es auch. Anfangs starrten alle den bildschönen eleganten Herrn (seitlich gescheiteltes graumeliertes Haar, gepflegter schwarzer Schnurrbart) neugierig an, doch nachdem sie gehört hatten, wer er war, beachteten sie ihn bald nicht mehr. Das war Erast Petrowitsch ganz recht. Er setzte sich bescheiden in eine entfernte Ecke und begann sie zu beobachten – alle außer der Altaïrskaja. Fandorin spürte ihre Anwesenheit überdeutlich (sie saß ihm schräg gegenüber), als dringe von diesem Teil des Raums ein flackerndes Leuchten herüber, das er jedoch nicht genauer anzuschauen wagte, denn er befürchtete, dann würde der ganze übrige Raum in Dämmerung versinken und er nicht arbeiten können. Erast Petrowitsch versprach sich, sich anschließend an ihr sattzusehen, wenn er die Übrigen ausreichend studiert hatte.
    Zunächst hielt Noah Nojewitsch eine energische Rede, in der er der Truppe zum kolossalen Erfolg der »Armen Lisa« gratulierte und bedauerte, dass das »bewusste Vorkommnis« die übliche Kritik im Anschluss an die Vorstellung verhindert hatte.
    »Ich erinnere an unsere gestrige Abmachung: Diese abscheuliche Geschichte werden wir nicht erörtern. Die Sache wird untersucht und der Schuldige wird entlarvt und bestraft werden, darauf mein Wort,

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