Moskauer Diva
Ehemann der Schauspielerin war ein orientalischer Fürst, ein halber regierender Khan, und in einigen Artikeln wurde Elisa sogar als »Khanin« bezeichnet.
Nun, wenn Fandorin sie so ansah – er würde alles glauben. Eine solche Frau konnte auch Prinzessin oder Gemahlin eines Khans sein.
Obwohl er sich innerlich lange vorbereitet hatte, bevor er sie aus der Nähe betrachtete, linderte das den Schlag kaum. Durch den Feldstecher hatte er sie in Maske gesehen, zudem in der Rolle eines einfachen, naiven Mädchens vom Lande. Im Leben aber, in ihrem natürlichen Zustand, war Elisa ganz anders – nicht im Vergleich mit ihrer Bühnenfigur, sondern einfach überhaupt
anders
, nicht wie andere Frauen, einzigartig … Fandorin hätte diesen seinen Gedanken nicht genauer erklären können, der ihn die Sessellehnen fest umklammern ließ – so unbändig war das Verlangen, aufzustehen und sich ihr zu nähern, um sie direkt anzuschauen, gierig und unablässig.
Was ist so Besonderes an ihr, fragte er sich, wie üblich bestrebt, das Irrationale zu rationalisieren. Woher kam dieses Gefühl einer unglaublichen, magisch anziehenden Schönheit?
Er versuchte, unvoreingenommen zu urteilen.
Strenggenommen war sie nicht einmal eine Schönheit. Ihre Zügewaren zu wenig ausgeprägt. Ihre Figur nicht klassisch: eckige Gestalt, spitze Schultern. Der Mund schmallippig und zu breit. Die Nase hatte einen kleinen Höcker. Doch all diese Unregelmäßigkeiten minderten den Eindruck eines Wunders nicht, sondern verstärkten ihn nur.
Ich glaube, es liegt an den Augen, entschied Erast Petrowitsch. Eine sonderbare, undefinierbare Eigenheit, die einen zwingt, ihren Blick zu suchen, um sein Geheimnis zu enträtseln. Er scheint auf dich gerichtet, dich aber nur zu streifen, als nehme er dich nicht wahr. Oder als sähe er etwas ganz anderes als das Offensichtliche.
An Beobachtungsgabe mangelte es Fandorin nicht. Selbst in seinem jetzigen, zweifellos nicht ganz normalen Zustand hatte er das Geheimnis rasch gelüftet. Frau Altaïrskaja schielte ein wenig, daher die Ungreifbarkeit des Blicks. Doch schon war da ein neues Rätsel – ihr Lächeln. Besser gesagt, das halbe oder nicht vollständige Lächeln, das fast ständig ihre Lippen umspielte. Offenbar macht das den Zauber aus, wagte Erast Petrowitsch eine neue Hypothese. Diese Frau scheint in einem ständigen Vorgefühl des Glücks zu leben, als wolle sie fragen: »Sind Sie der, auf den ich warte? Sind Sie mein Glück?« Außerdem lag in diesem wunderbaren Lächeln eine gewisse Verlegenheit. Als schenke Elisa sich der Welt und geniere sich selbst ein wenig für dieses großzügige Geschenk.
Alles in allem musste sich Fandorin eingestehen, dass er das Geheimnis der Diva nicht bis ins Letzte enträtselt hatte. Er hätte sie noch lange betrachten mögen, doch Schustrow wurde bereits zu dem Mann neben ihr geführt, und Erast Petrowitsch lenkte den Blick widerwillig auf Ippolit Smaragdow.
Über dessen Schönheit brauchte man sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Schlank, breitschultrig, hochgewachsen, idealer Scheitel, klarer Blick, blendendes Lächeln, vorzüglicher Bariton. Eine Augenweide, ein wahrer Adonis. Die Zeitungen schrieben, aus Petersburg seien ihm an die fünfzig verliebte Verehrerinnen gefolgt,die keinen seiner Auftritte verpassten und ihr Idol mit Blumen überschütteten. Stern habe ihn aus dem Alexander-Theater mit einer unglaublichen Gage abgeworben, fast tausend Rubel im Monat.
»Sie waren großartig als Hamlet und als Werschinin. Auch Karamsins Erast ist Ihnen gelungen«, sagte der Mäzen, während er ihm die Hand drückte. »Aber vor allem – Sie verfügen über ein sehr vorteilhaftes Aussehen. Auch aus der Nähe betrachtet. Das ist wichtig.«
Der Millionär hatte eine besondere Art zu sprechen – man spürte, dass dieser Mann mit Komplimenten nicht verschwenderisch umging. Er hatte genau das gesagt, was er tatsächlich dachte. Ohne sich sonderlich darum zu scheren, ob sein Gegenüber ihn verstand.
Charmant lächelnd erwiderte der Schauspieler: »Ich sollte sagen ›Schauen Sie nur, schauen Sie, anschauen kostet nichts‹, aber es wäre ja geradezu eine Sünde, Sie nicht um etwas zu bitten. In diesem Zusammenhang möchte ich gern wissen, ob ich nicht doch am Ende der Saison einen kleinen Soloabend bekommen könnte?«
»Nein!«, unterbrach ihn Noah Nojewitsch. »In der Satzung der ›Arche Noah‹ heißt es ganz klar: Kein Soloabend, für niemanden.«
»Auch nicht für Ihre
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