Moskauer Diva
sardonisch.
»Hinge Popularität vom Talent ab und nicht vom Aussehen« – er warf einen unguten Blick auf Smaragdow –, »dann würde man mir am Eingang auflauern. Aber egal, wie genial man den Jago oder den Claudius spielt, dafür wird man nicht mit Blumen überhäuft. Dieses Vergnügen bleibt dem Unbegabten mit dem hübschem Frätzchen vorbehalten.«
Lächelnd den Ausrufen lauschend, sagte der
Jugendliche Held
träge gedehnt: »Anton Iwanowitsch, ich weiß, Sie versetzen sich vom frühen Morgen an in die Rolle des Bösewichts, aber wir haben heute keine Vorstellung, also kehren Sie in die Welt der anständigen Menschen zurück. Oder können Sie das schon nicht mehr?«
»Ich bitte Sie, streiten Sie nicht!«, flehte die Lissizkaja übertrieben besorgt. »Das ist meine Schuld! Ich habe mich verhört, und nun ist Antoscha gekränkt …«
»Sie haben sich verhört? Mit diesen Ohren?«, stichelte Smaragdow.
Die Intrigantin wurde flammend rot – sie leidet also doch unter ihrer Hässlichkeit, registrierte Fandorin.
»Kollegen! Freunde!« Ein rundgesichtiger Mann in einem zukurzen Jackett erhob sich von seinem Stuhl. »Hört schon auf, wirklich! Ständig streiten wir, versetzen einander Nadelstiche – was soll das? Das Theater ist doch etwas so Schönes, Gutes, Herrliches! Wenn wir einander nicht lieben, wenn jeder die Decke dauernd nur zu sich zerrt, dann wird sie zerreißen!«
»So spricht ein Mann, der nie Regie führen darf«, sagte Stern darauf und legte dem Rundgesichtigen die Hand auf die Schulter. »Setz dich, Wassja. Und Sie beruhigen sich bitte. Sehen Sie nun, Andrej Gordejewitsch, in was für einem Irrenhaus ich arbeite? Also, wen haben wir noch? Nun, das hier ist, wie Sie sicher erraten haben, unser Intrigant und Bösewicht Anton Iwanowitsch Mefistow.« Er wies mit einer nachlässigen Geste auf den Brünetten. Dann zeigte er mit dem Finger auf den Rundgesichtigen. »Das ist Wassenka, unser Dümmling, darum trägt er auch das Pseudonym Prostakow 21 . In dieses Rollenfach gehören treue Kameraden und sympathische Dummköpfe. In den ›Drei Schwestern‹ war er Tusenbach , im Hamlet der Horatio … Ja, das ist die ganze Truppe.«
»Und Soja?«, meldete sich die Altaïrskaja vorwurfsvoll. Erast Petrowitsch hatte ihre Stimme ein paar Minuten lang nicht gehört und sie bereits vermisst.
»Ich werde immer vergessen. Wie ein unwichtiges Detail.«
Das sommersprossige Fräulein, das den Helden Dewjatkin geküsst und ihm im Überschwang der Gefühle die verletzte Hand gedrückt hatte, sagte das mit gespielter Fröhlichkeit. Sie war sehr klein – ihre Füße reichten nicht bis auf den Boden und baumelten vom Stuhl herab.
»Entschuldige, Soja! Mea culpa!« Stern schlug sich mit der Faust an die Brust. »Das ist unsere wunderbare Soja Durowa 22 . Rollenfach Jugendliche Naive, also unser weiblicher Schalk. Ein großartiges Talent für Groteskes, Parodien und Unsinn«, sprudelte erheraus, offensichtlich bemüht, seinen Fauxpas auszubügeln. »Und außerdem die ideale Besetzung für Hosenrollen. Stellen Sie sich vor, ich habe sie aus einem Liliputanerzirkus entführt. Sie stellte dort urkomisch einen Affen dar.«
Schustrow musterte die kleine Frau ohne besonderes Interesse und schaute nun Fandorin an.
»Für die Liliputaner war ich zu groß, und hier bin ich zu klein.« Die Durowa packte den Millionär am Ärmel, damit er sich wieder ihr zuwandte. »Das ist mein Schicksal, ich bin immer entweder zu viel oder zu wenig.« Sie schnitt ein klägliches Gesicht. »Dafür kann ich etwas, das sonst niemand kann. Ich habe die seltene Gabe, meine Tränen zu manipulieren. Ich kann nicht nur mit beiden Augen weinen, sondern wahlweise auch nur mit einem. Allerdings sind Tränen in meinem Rollenfach nur ein Mittel, das Publikum zum Lachen zu bringen.« Sie hustete – erstaunlich heiser. »Entschuldigen Sie, ich rauche viel … Das ist nützlich, wenn ich halbwüchsige Jungen spiele.«
»Ja, das ist die ganze Truppe«, wiederholte Noah Nojewitsch und umriss sein kleines Heer mit einer ausholenden Armbewegung. »Sozusagen die ›Besatzung der Arche‹. Herrn Fandorin brauchen Sie nicht weiter zu beachten. Er ist ein Kandidat für die Stelle des Dramaturgen, gehört aber noch nicht zur Mannschaft. Wir beäugen einander erst einmal.«
Erast Petrowitsch seinerseits hatte bereits genug gesehen. Er hatte die ersten Vermutungen angestellt und einen ersten Kreis von Verdächtigen ausgemacht.
Über den schicksalhaften Korb hatte
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