Moskauer Diva
besessen, den Vorschlag anzunehmen. Als er jedoch sah, dass sein Herr unzufrieden war, hatte er ihm auf Japanisch erklärt, dass es so weit bequemer sein würde, die Truppe zu beobachten. Das war durchaus logisch, und Fandorin hatte geantwortet:
Sore wa tashikani soo da kedo …
3 Schließlich konnte er vor Zeugen keinen Streit wegen der Rolle anfangen. In Gedanken aber verfluchte er sich: Erstens, weil er Masa in seine Pläne eingeweiht hatte, und zweitens, weil er den Japaner ins Theater mitgenommen hatte.
Anschließend hatte er seinem Diener deutlich die Meinung gesagt. Vor allem hatte er darauf hingewiesen, dass Masa einen Shinobi gar nicht richtig spielen könne, denn im Gegensatz zu Fandorin sei er nicht in einem Clan 4 ausgebildet worden. Masa hatte entgegnet, die Russen würden solche Feinheiten ohnehin nicht bemerken, sie könnten eine Udon nicht von einer Soba 5 unterscheiden. Er hatte natürlich recht. Außerdem hatte der Regisseur seine Entscheidung getroffen. Fandorins Hoffnung, Elisa näherzukommen, wenigstens als Liebhaber auf der Bühne, hatte sich zerschlagen.
Zu einer Annäherung kam es dennoch, und zwar nicht auf der Bühne, sondern im Leben. Doch das endete mit einer Katastrophe, die bestimmt nicht geschehen wäre, wenn sie zusammen auf der Bühne stehen würden. Erast Petrowitsch verstand inzwischen genug von der Psychologie der Schauspieler, um zu wissen: Eine echte Schauspielerin würde sich nie erlauben, mit einem Bühnenpartner zu brechen – das wäre der Untergang der Inszenierung.
Doch Gründe, sich zu quälen, hatte Fandorin auch vor der Katastrophe genug. Solange er noch die Proben besuchte, verspürte er einen ständigen, peinigenden Neid auf Masa, der Elisa berühren durfte, und zwar auf intimste Weise. Der verdammte Regisseur schwor auf Sinnlichkeit und wollte, dass die Liebesszene »echt« aussah. So führte er ein unerhört kühnes Element ein: Unter dem Ansturm seiner Gefühle umarmte der Held die Geisha nicht einfach, nein, er langte mit einer Hand unter ihren Kimono. Noah Nojewitsch versicherte, dieser Naturalismus werde das Publikumerstarren lassen. Vorerst allerdings erstarrte Erast Petrowitsch. In seinem Stück gab es keinen solchen Naturalismus, darin ging es um eine erhabene Liebe.
Masa benahm sich einfach widerlich. Schmatzend küsste er Elisas Hals, griff ihr mit Vergnügen unter den Kimono und berührte die Brust der Schauspielerin auf eine Weise, dass Fandorin aufstand und hinausging. Besonders erbosten ihn die Worte, mit denen der Japaner Elisa pries. »Ihle Lippen sind ganz weichi, aber die Blust ise feste und steraffe! Meine Herr hate eine gute Wahl geteloffen«, erzählte er strahlend und mit der Zunge schnalzend nach der Probe – mit der Miene interessierter freundschaftlicher Anteilnahme!
Der Heuchler! Oh, Fandorin kannte die Manieren seines Dieners nur zu gut. Das gierige Glitzern in den Augen und das lüsterne Zungenschnalzen! Es war ihm immer wieder ein Rätsel, wie Masa es schaffte, Frauenherzen (und -körper) zu erobern, doch auf diesem Gebiet hatte er seinem Herrn einiges voraus.
Andererseits war es ungerecht, dem Japaner Vorwürfe zu machen, weil er Elisas Zauber nicht widerstehen konnte. Sie war nun einmal eine Frau, bei der jeder Mann den Kopf verlor.
Wahre Liebe und wahre Freundschaft sind unvereinbar, überlegte Erast Petrowitsch bitter. Entweder – oder. Von dieser Regel gab es keine Ausnahmen.
Der Verlauf der Krankheit
Fandorin widerfuhr, was jedem vernünftigen, willensstarken Menschen widerfährt, der es gewohnt ist, seine Gefühle fest im Zaum zu halten, dessen Pferd sich aber plötzlich, seines Reiters überdrüssig, aufbäumt und diesen aus dem Sattel wirft. So etwas war Fandorin bislang erst zwei Mal passiert, beide Male wegen einer Liebe, die tragisch geendet hatte. Zwar wirkte das Ende jetzt eherwie eine Farce, doch das machte die Hilflosigkeit des einstigen Rationalisten nur noch demütigender.
Sein Wille war verschwunden, von der seelischen Harmonie war keine Spur mehr übrig, die Vernunft streikte. Fandorin fiel in eine beschämende Apathie, die viele Tage anhielt.
Er verließ das Haus nicht. Stundenlang saß er da und starrte in ein aufgeschlagenes Buch, ohne die Buchstaben zu sehen. Dann, wie plötzlich aufgerüttelt, widmete er sich voller Eifer, bis zur Erschöpfung, seinen Leibesübungen. Erst wenn er vollkommen ausgelaugt war, konnte er einschlafen. Irgendwann erwachte er, zu völlig unvorhersehbaren Tageszeiten, und das
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