Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
mit Herrn Dewjatkin zusammen? Ja oder nein? Mich interessiert nicht Ihre Moral, gnädige Frau. Ich will nur die W-wahrheit wissen.«
    Das Lächeln verschwand nicht, verlor aber jegliche, auch gespielte Fröhlichkeit. Die grünlichen Augen blickten den ungebetenen Gast vollkommen ausdruckslos an. Was ihre Besitzerin dachte, war unmöglich zu erraten. Gut, dass Frau Durowa nur auf der Bühne Kinder spielt und nicht im Kinematograph, dachte Fandorin. Bei einer Großaufnahme geht man mit einem solchen Blick nicht als Kind durch.
    »Sie meinten heute, Smaragdow habe nicht Selbstmord begangen«, sagte die Durowa langsam. »Sie haben also einen Verdacht … Und Sie verdächtigen George, richtig?«
    Dieser Persönlichkeitstyp war Fandorin vertraut. Solche Menschen wurden von ihrer Umgebung nicht ernst genommen – weil sie so aussahen und sich so verhielten. Doch meist täuschte sich die Umgebung in ihnen. Kleine Menschen, egal welchen Geschlechts, besaßen meist einen starken Charakter und waren alles andere als dumm.
    »Ich weiß nicht, wer Sie wirklich sind. Und ich will es auch nicht wissen«, fuhr Soja fort. »Aber George können Sie aus Ihren Überlegungen streichen. Er hat die Nacht hier in diesem Bett verbracht.« Ohne sich umzudrehen, wies sie mit dem Finger auf das schmale Eisenbett und bleckte noch unangenehmer die Zähne. »Erst gaben wir uns der sündigen Leidenschaft hin. Dann schlief er, und ich lag daneben und schaute ihn an. Das Bett ist sehr schmal, aber wie Sie sehen, brauche ich nicht viel Platz. Möchten Sie Einzelheiten wissen?«
    »Nein.« Er hielt ihrem funkelnden Blick nicht stand und schaute zu Boden. »Ich bitte um V-verzeihung. Aber das war notwendig …«
    Später untersuchte er in seinem heimischen Labor das Florett, das er aus der Requisite mitgenommen hatte. Herr Dewjatkin war offenkundig ein gründlicher Mann. Wirklich ein Alleskönner. Die Spitze war getränkt mit einer Mischung aus dem Gift der mittelasiatischen Kobra, der
Naja oxiana,
und Pflanzenöl, das vermutlichbeigemengt worden war, damit das Gift nicht austrocknete. Eine Injektion damit hätte zweifellos einen qualvollen Tod zur Folge gehabt.
    Am Morgen schloss Fandorin die notwendige Überprüfung mit einem Besuch bei der Kriminalpolizei ab, wo man ihn gut kannte. Er stellte eine Frage und erhielt eine Antwort. Smaragdow war mit etwas anderem vergiftet worden – dem klassischen Zyankali.
    Auf dem Weg ins Theater machte sich Erast Petrowitsch düstere Gedanken darüber, dass seine detektivischen Fähigkeiten stark gelitten hatten und er durch seine Verliebtheit recht dumm geworden war. Nicht genug, dass er einer falschen Hypothese gefolgt war, er hatte sich auch noch dem Sonderling George Dewjatkin offenbart. Er würde heute mit ihm reden müssen, verlangen, dass er seine Zunge im Zaum hielt, sonst könnte der wahre Mörder aufgeschreckt werden.
    Doch an diesem Tag konnte er nicht mit Dewjatkin sprechen, denn Elisa willigte überraschend ein, ihn in die Swertschkow-Gasse zu begleiten, um sich einen Kimono auszusuchen, und es geschah ein Wunder, doch gleich darauf löste sich der Zauber auf, und Erast Petrowitsch war wieder allein in seinem leeren, nun vollkommen toten Haus.
     
    Dewjatkin suchte ihn selbst auf, am nächsten Mittag. Seit Elisa fortgelaufen war, hatte Fandorin das Haus nicht mehr verlassen. Er saß im Schlafrock da, von unbegreiflicher Erstarrung erfasst, und rauchte eine Zigarre nach der anderen. Hin und wieder geriet er in Erregung, lief im Zimmer auf und ab und redete mit einem Unsichtbaren, dann setzte er sich wieder hin und erstarrte erneut. Das Haar des sonst so auf sein perfektes Äußeres bedachten Fandorin hing in weißen Strähnen herunter, auf seinem Kinn wuchsen schwarze Stoppeln, unter den blauen Augen bildeten sich – Ton in Ton – blaue Ringe.
    Der Regieassistent bildete einen direkten Kontrast zu dem ungepflegten Autor. Als Fandorin träge zur Tür geschlurft war und öffnete (gut fünf, wenn nicht zehn Minuten, nachdem es geklingelt hatte), sah er, dass Monsieur Dewjatkin einen neuen Anzug angezogen, blitzsaubere Kragen angeknöpft und eine Seidenkrawatte umgeschlungen hatte; in der Hand hielt er weiße Handschuhe. Sein Offiziersschnurrbart stand nach beiden Seiten kriegerisch ab, wie zwei zum Angriff bereite Kobras.
    »Ich habe mich bei Noah Nojewitsch nach Ihrer Adresse erkundigt«, sagte Dewjatkin streng. »Da Sie gestern nicht die Güte hatten, mir etwas Zeit zu widmen, und heute gar nicht

Weitere Kostenlose Bücher