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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Ganze begann von vorn.
    Ich bin krank, sagte er sich. Irgendwann geht das vorbei.
Jene beiden Male
war es ungleich schlimmer gewesen, trotzdem war es vorbeigegangen. Doch dann widersprach er sich: Damals war er jung gewesen. Im Laufe eines langen Lebens ermüdet die Seele, und ihre Fähigkeit zur Rehabilitation lässt nach.
     
    Vielleicht wäre die Krankheit rascher vorübergegangen, wäre Masa nicht gewesen.
    Jeden Tag kam er lebhaft und äußerst zufrieden mit sich von der Probe nach Hause und berichtete Fandorin von seinen Erfolgen: Was er zu Elisa gesagt und was sie geantwortet hatte. Erast Petrowitsch, anstatt ihm den Mund zu verbieten, hörte willenlos zu, und das war Gift für ihn.
    Der klägliche Zustand seines Herrn wunderte den Japaner nicht. Auf Japanisch hieß er
Koi Wazurai
, »Liebeskrankheit«, und galt als durchaus respektabel für einen Samurai. Masa riet ihm, sich nicht gegen den Kummer zu sträuben, Gedichte zu schreiben und öfter einmal »die Ärmel mit Tränen zu nässen« wie der große Held Yoshitsune bei der Trennung von der schönen Shizuka.
    In der schicksalhaften Nacht, in der Elisa Fandorin erst zum glücklichsten und dann zum unglücklichsten Menschen auf derWelt machte (in derart lächerlich hochtrabenden Worten dachte der leidende Erast Petrowitsch nun), hatte Masa alles gesehen. Der Japaner war taktvoll durch die Hintertür hinausgeschlüpft und hatte einige Stunden draußen verbracht. Als heftiger Regen einsetzte, hatte er unterm Torbogen Schutz gesucht. Er war erst ins Haus zurückgekehrt, als Fandorin wieder allein war. Und hatte ihn sofort ausgefragt.
    »Was haben Sie mit ihr gemacht, Herr? Danke, dass Sie die Vorhänge im Schlafzimmer nicht vorgezogen haben, es war sehr interessant. Aber am Ende war es ganz dunkel, und ich habe nichts mehr gesehen. Sie ist weggelaufen, ohne auf den Weg zu achten, hat laut geweint und sogar ein wenig geschwankt. Sie müssen sich etwas ganz Unerhörtes erlaubt haben. Erzählen Sie, um unserer Freundschaft willen – ich sterbe vor Neugier!«
    »Ich weiß nicht, was ich getan habe«, antwortete Fandorin. »Ich verstehe es nicht.«
    Er sah unglücklich aus, und sein Diener fragte nicht weiter. Er strich dem Leidenden über den Kopf und versprach: »Halb so schlimm. Das renke ich wieder ein. Sie ist eine ganz besondere Frau. Sie ist wie ein amerikanischer Mustang. Erinnern Sie sich an die amerikanischen Mustangs, Herr? Man muss sie ganz allmählich zähmen. Vertrauen Sie mir. Gut?«
    Fandorin nickte leblos – und verurteilte sich damit zu der Qual, sich die täglichen Berichte des Japaners anhören zu müssen.
    Wenn er Masa Glauben schenkte, ging dieser nur deshalb ins Theater, um Elisa zu »zähmen«. Angeblich tat er dort nichts anderes, als die Vorzüge seines Herrn vor Elisa auszubreiten. Und sie gebe angeblich langsam nach. Finge an, nach Fandorin zu fragen, ohne jedes Anzeichen von Gekränktsein oder Widerwillen. Ihr Herz schmelze von Tag zu Tag mehr.
    Fandorin hörte mürrisch zu und glaubte kein einziges Wort. Es war ihm unangenehm, Masa anzusehen. Neid und Eifersucht nahmenihm den Atem. Der Japaner redete mit ihr, hielt sie auf der Bühne im Arm, küsste sie, berührte ihren Körper (was für ein Fluch!). Welcher Mann würde unter diesen Umständen nicht dem Zauber dieser Frau erliegen?
    Der September war vorbei, der Oktober begann. Ein Tag war wie der andere. Fandorin wartete auf den täglichen Bericht über Elisa wie ein heruntergekommener Opiumsüchtiger auf die nächste Dosis. Er bekam sie, verspürte aber keine Erleichterung, sondern verachtete sich selbst und hasste den Drogenlieferanten.
     
    Das erste Anzeichen von Heilung äußerte sich darin, dass Erast Petrowitsch plötzlich auf die Idee kam, in den Spiegel zu schauen. Normalerweise widmete er seinem Äußeren viel Zeit, nun aber hatte er sich seit über zwei Wochen nicht einmal gekämmt.
    Er schaute in den Spiegel – und erschrak (auch das ließ hoffen). Sein Haar hing herab, es war fast vollkommen weiß, der Bart hingegen war schwarz, ohne ein einziges graues Haar. Die reinste Beardsley-Karikatur. Ein Gentleman lässt sich selbst unter den schlimmsten Umständen nicht so gehen, sagt ein weiser Mann. »Und deine Umstände sind keineswegs schlimm«, tadelte Fandorin sein Spiegelbild. »Nur eine zeitweilige Lähmung des Willens.« Und sofort wusste er, was der erste Schritt zur Wiedererlangung der Selbstkontrolle sein musste.
    Er musste aus dem Haus gehen, um Masa nicht zu

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