Moskauer Diva
…
»M-merci. Aber
Sie
sind in meinen Augen noch nicht reingewaschen. Smaragdow hat mit einem Bekannten Wein getrunken. Anschließend hat der Giftmörder den zweiten Kelch in die Requisite gebracht. Freien Zugang zur Requisite haben nur Sie. Und Sie hatten auch ein Motiv: Smaragdow hatte die Rolle bekommen, auf die Sie gehofft hatten.«
»Wenn wir einander wegen einer Rolle umbringen würden, wären alle Theater längst Friedhöfe. Sie haben eine zu romantische Vorstellung von uns Schauspielern.« Dewjatkin lächelte. »Und was die Requisite angeht – ja, den Schlüssel habe wirklich ich. Aber Ihr Beispiel zeigt, dass man auch ohne ihn hereingelangen kann. Und noch etwas. Wissen Sie, wann genau sich Ippolit mit seinem Mörder getroffen hat?«
»Ja. Der Nachtwächter hat ihn kurz nach neun noch gesehen. Und der Tod ist laut Gutachten spätestens um Mitternacht eingetreten. Ich habe mich bei der Polizei erkundigt.«
»Das Verbrechen wurde also zwischen neun und zwölf begangen? Dann habe ich ein Alibi.«
»Nämlich?«
Nach kurzem Zögern sagte Dewjatkin: »Ich hätte das niemals erzählt, aber ich fühle mich schuldig, weil ich Sie beinahe getötethätte. Ich sage noch einmal, ich war sicher, dass Sie der Giftmörder sind, dabei haben Sie den Täter gesucht … Das Schicksal hat sie freigesprochen.«
»Hören Sie auf mit dem Schicksal!«, explodierte Erast Petrowitsch. Ihm war inzwischen klar, dass er mit seiner Hypothese falsch gelegen hatte, und das ärgerte ihn. »Sonst habe ich das Gefühl, mit einem Mondsüchtigen zu sprechen!«
»So sollten Sie nicht reden.« Dewjatkin reckte einen Arm und hob den Blick zur Decke, oder, pathetischer ausgedrückt, richtete die Augen gen Himmel. »Wer an eine höhere Macht glaubt, weiß: Nichts ist zufällig. Besonders, wenn es um Leben und Tod geht. Und wer nicht an eine höhere Macht glaubt, unterscheidet sich nicht von einem Tier.«
»Sie sprachen von einem Alibi«, unterbrach ihn Fandorin.
Seufzend sagte der Assistent, nun ohne Pathos, in ganz normalem Ton: »Das bleibt selbstverständlich unter uns. Geben Sie mir Ihr Wort. Es geht um den Ruf einer Dame.«
»Ich werde Ihnen nicht mein W-wort geben. Sie waren an diesem Abend bei einer Frau? Bei wem?«
»Na schön. Ich verlasse mich auf Ihren Anstand. Sollten Sie irgendwann
ihr
davon erzählen (Sie wissen, wen ich meine), wäre das sehr niederträchtig.« Dewjatkin senkte den Kopf und holte Luft. »Ich habe an diesem Abend das Theater mit Soja Nikolajewna verlassen. Wir waren bis zum Morgen zusammen …«
»Mit der Durowa?«, fragte Erast Petrowitsch nach einer kurzen Pause, weil er nicht gleich begriff, von wem die Rede war. Niemand hatte die kleine Naive in seiner Gegenwart je mit Vatersnamen genannt. Doch das Geständnis erstaunte ihn nur im ersten Moment.
»Ja.« Der Assistent rieb sich unromantisch die Beule auf der Stirn. »Wie Terenz 2 sagt: Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches ist mir fremd. Sie sind ein Mann, Sie werden mich verstehen. Schließlich haben wir auch rein physiologische Bedürfnisse. Aber fragen Sie mich bitte nicht, ob ich Soja Nikolajewna liebe.«
»Das tue ich nicht«, versprach Fandorin. »Aber mit Frau Durowa werde ich auf jeden Fall sprechen. Und wir beide werden unser Gespräch noch fortsetzen.«
Eine Million Qualen
Vom Theater fuhr Fandorin trotz der späten Stunde mit dem Automobil gleich zum Hotel, damit Dewjatkin die Durowa nicht warnen und sich nicht mit ihr absprechen konnte. Eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme. Erast Petrowitsch bezweifelte nicht, dass sich das Alibi bestätigen würde, aber in einem so ernsten Fall mussten alle Einzelheiten exakt überprüft werden.
Nachdem er mit einiger Mühe im »Madrid« das Zimmer der kleinen Schauspielerin ausfindig gemacht hatte, entschuldigte er sich für den späten Besuch und noch mehr für die ungenierte Frage. Mit dieser Frau musste man klar und ohne Umschweife reden, was er auch tat.
»Es geht um die Umstände des Todes von Herrn Smaragdow«, sagte er. »Lassen wir d-darum Erwägungen des Anstands einmal beiseite. Sagen Sie mir bitte: Wo und mit wem haben Sie den Abend des 12. und die Nacht zum 13. September verbracht?«
Das sommersprossige Gesicht der Durowa erstrahlte in einem albernen Lächeln.
»Oho! Ich sehe Ihrer Ansicht nach aus wie eine Frau, die mit jemandem die Nacht verbringt? Wie schmeichelhaft.«
»Vergeuden Sie unsere Zeit nicht mit Ausflüchten. Ich habe es eilig. Antworten Sie einfach: Waren Sie
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