Moskauer Diva
eingefallenen Augen funkelten vor Neugier. »Ihr Äußeres hat stark nachgelasssen. Sie sehen ja direkt aus wie ein Mensch, nicht mehr wie ein Bild aus einem Frauenmagazin. Sind Sie etwa krank? Ihr Japaner hat nichts erwähnt.«
»Ich war ein wenig krank. Aber nun bin ich wieder fast g-gesund.«
Die Begegnung war Fandorin unangenehm. Er tippte an seinen Zylinder, um sich zu verabschieden, doch der Schauspieler packte ihn am Ärmel.
»Haben Sie von unseren Neuigkeiten gehört? Ein Skandal! Pornographie!« Sein Echsengesicht strahlte vor Glück. »Unsere Schöne, unser Rührmichnichtan, unsere ägyptische Prinzessin hat sich dermaßen blamiert! Ich rede von Elisa Altaïrskaja, falls Sie das nicht verstanden haben.«
Aber Fandorin hatte ihn ausgezeichnet verstanden. Und er verstand auch, dass diese zufällige Begegnung nicht von ungefähr stattgefunden hatte. Gleich würde er etwas Wichtiges erfahren, und das würde womöglich seine Genesung beschleunigen. Doch die Grobheit an
ihre
Adresse durfte er nicht durchgehen lassen.
»Warum reden Sie so boshaft über Frau Altaïrskaja-Lointaine?«, fragte er unfreundlich.
»Weil ich schöne Frauen und überhaupt alles Schöne nicht ausstehen kann«, erklärte Mefistow bereitwillig. »Ein hässlicher Schriftsteller hat die dummen Worte gesagt, die nun jeder Trottel endlos wiederholt: ›Die Schönheit wird die Welt retten.‹ Quatsch ist das! Sie wird sie nicht retten, sie wird sie ruinieren! In Ihrem Stück wird das wunderbar erläutert. Wahre Schönheit sticht nichtins Auge, sie ist verborgen und nur wenigen Auserwählten zugänglich. Dummköpfe und Flegel können sie nicht sehen! Auf starke, innovative Kunst reagiert die Menge stets mit Angst und Abscheu. Wenn es nach mir ginge, würde ich jedes hübsche Lärvchen brandmarken, um ihm das bonbonhafte Strahlen zu nehmen. Ich würde prunkvolle Paläste zu Konstruktionen aus Eisen und Beton umbauen! Ich würde den ganzen verschimmelten Unfug aus den Museen verbannen und …«
»Ich bezweifle nicht, dass Sie genau das tun würden, wenn es nach Ihnen ginge«, unterbrach ihn Fandorin. »Aber was war denn nun mit Frau Altaïrskaja-Lointaine?«
Mefistow wurde von einem lautlosen Lachen geschüttelt.
»Sie wurde mit einem Verehrer in einer höchst pikanten Pose erwischt! In ihrem Hotelzimmer! Mit dem Husarenkornett Limbach, einem jungen Adonis. Sie fast nackt, ihr Liebhaber auf Knien, den Kopf unter ihrem Nachthemd, und küsst sie inbrünstig. Ich sage Ihnen – eine pornographische Postkarte!«
»Das glaube ich nicht«, sagte Erast Petrowitsch dumpf.
»Ich hätte es selbst nicht geglaubt. Aber der Husar ist nicht still und heimlich bei ihr eingedrungen, er hat in seiner Liebesbrunst das halbe Hotel auf den Kopf gestellt. Und die unzüchtige Szene haben Leute mit eigenen Augen gesehen, die sich so etwas nicht ausdenken würden: Stern, Wassja Prostakow und Dewjatkin.«
Fandorins Gesichtszüge verzerrten sich offenbar, jedenfalls sagte Mefistow: »Komisch, dass ich Sie früher für einen süßlichen Beau gehalten habe. Sie haben ein recht interessantes Gesicht, wie ein römischer Patrizier aus der Zeit des Niedergangs des Imperiums. Nur der Schnurrbart ist überflüssig. Den würde ich an Ihrer Stelle abrasieren.« Mefistow zeigte auf seine eigene Oberlippe. »Ich komme übrigens gerade von der Probe und wollte zu Fuß zum Hotel gehen, ein wenig frische Luft schnappen. Vielleicht leisten Sie mir Gesellschaft? Wir könnten uns ins Büfett setzen und etwas trinken.«
»Danke. Aber ich habe zu tun«, quetschte Erast Petrowitsch zwischen den Zähnen hervor.
»Und wann besuchen Sie uns mal wieder im Theater? Wir sind schon recht weit, das wird Sie interessieren. Wirklich, kommen Sie zur Probe.«
»Unbedingt.«
Endlich ließ der verdammte Intrigant von ihm ab. Fandorin blickte auf die Hälften von Mefistows Stock, die auf dem Trottoir lagen, zerbrach seinen eigenen, völlig unschuldigen Spazierstock aus stahlhartem Holz ebenfalls in zwei Hälften und dann noch einmal jeweils in der Mitte.
Schließlich fiel ihm auch noch das idiotische Kompliment über sein Äußeres ein. Es war doch Fjodor Karamasow, von dem es hieß, er habe »das Gesicht eines römischen Patriziers aus der Zeit des Niedergangs«! Übrigens ist der widerliche alte Erotomane ungefähr so alt wie ich, dachte er. Und in diesem Augenblick erwachte sein erschlaffter Wille wieder zum Leben und erfüllte sein ganzes Wesen mit langersehnter Kraft.
»Mit
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