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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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war heute in übler Stimmung, seine Nerven waren nicht in bester Verfassung. Darum benahm er sich nicht eben angemessen. Normalerweise hielt er es für unter seiner Würde, Herren dieses Typus ohne äußerste Not anzufassen, nun aber brach er diese Regel. Er ergriff mit zwei Fingern einen Jackettknopf des Mannes, riss leicht daran und hielt ihn in der Hand. Dasselbe tat er mit den übrigen Knöpfen. Und steckte sie dem Grobian in die Brusttasche.
    »Schön, wenn Sie wissen, w-wer ich bin, reizen Sie mich lieber nicht. Das mag ich nicht. Und nähen Sie Ihre Knöpfe an, das ist doch unschicklich.«
    Mein Gott, ich bin Staatsrat im Ruhestand, ein solider Mann von fünfundfünfzig Jahren, und benehme mich wie ein rauflustiger Grünschnabel!
    Eines musste Fandorin dem Oberschwarzhändler immerhin lassen: Er schien tatsächlich etwas über ihn zu wissen, denn er suchte keinen Streit. Doch die bösen kleinen Äuglein spiegelten auch keine Angst. Diesmal klang sein Pfeifen höhnisch-respektvoll.
    »Jupiter zürnt. Also Herzensangelegenheiten. Nun, viel Erfolg. Schon gut, schon gut. Ich gehe meine Knöpfe annähen.«
    Er lüftete seinen Hut und zog sich zurück.
    Dieser kleine Zwischenfall zeigte Fandorin, dass seine seelische Verfassung sich noch nicht normalisiert hatte. Morgen, sagte er sich. Morgen bin ich bestimmt in besserer Form.
    Er stieg in sein Automobil und fuhr davon.
    Die Premiere
    Die schmerzhafte Operation erfolgte am nächsten Tag und verlief im Großen und Ganzen erfolgreich. Nur im ersten Moment, als
sie
sich umdrehte, den Eintretenden ansah und sich an die Kehle griff, als fiele ihr das Atmen schwer, wurde auch Fandorin der Atem knapp, doch er beherrschte sich rasch. Alle kamen auf ihn zu, um ihm die Hand zu schütteln, ihn lärmend zu begrüßen, seine Blässe zu bedauern und »Michail Erastowitsch« Vorwürfe zu machen, dass er ihnen nichts von der Krankheit seines »Adoptivvaters« gesagt hatte.
    Erast Petrowitsch begrüßte alle, auch Elisa – respektvoll und distanziert. Sie hob den Blick. Der Geruch ihres Haars war eine klare Gefahr. Als der Genesende den schwindelerregenden Duft nach Parmaveilchen verspürte, trat er rasch beiseite.
    Das war’s, sagte er sich erleichtert, nun wird es leichter. Aber es wurde nicht leichter. Bei jeder Begegnung, bei jedem zufälligen(und erst recht absichtlichen) Kreuzen der Blicke, besonders aber beim Austausch noch so nichtssagender Sätze, verspürte er erneut eine Atemlähmung und ein heftiges Pochen in der Brust. Zum Glück besuchte Fandorin die Proben nicht oft. Nur wenn der Regisseur ihn darum bat oder wenn die Ermittlungen es erforderten.
     
    Nach der Blamage mit Dewjatkin und der zweiwöchigen Zwangspause musste er fast bei Null anfangen und eine neue Liste der Verdächtigen aufstellen.
    Es gab keine Antwort auf die wichtigste Frage: Warum musste der hohle Geck Smaragdow vergiftet werden? Und gab es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und der Schlange im Blumenkorb?
    Hypothesen waren fast ein Dutzend zur Hand – praktisch ebenso viele, wie die Truppe Mitglieder hatte –, aber sie alle waren wenig überzeugend, erschienen unnatürlich. Andererseits wirkte vieles in dieser seltsamen Welt unnatürlich: das Verhalten der Schauspieler, ihre Art zu reden, ihre Beziehungen, die Motive ihres Handelns. Neben den »internen« Hypothesen (also denen, sie sich auf die »Arche« beschränkten) gab es auch eine »externe«, die zwar wenig realistisch war, jedoch aktive Nachforschungen erforderte, und mit der Aktivität war es bei Fandorin noch nicht weit her. Er betrachtete sich zwar als genesen, litt aber noch immer unter Anfällen von Apathie, und auch sein Gehirn funktionierte schlechter als üblich.
    In diesem Zustand ganz allein zu ermitteln, ohne einen Assistenten, war wie Rudern mit einem einzigen Ruder – das Boot drehte sich ständig im Kreis. Fandorin war daran gewöhnt, seine Deduktionen mit Masa zu erörtern, das half ihm, die Richtung seiner Gedanken zu klären und zu systematisieren. Der Japaner machte häufig nützliche Bemerkungen, und gerade in diesem bizarren Fall wären sein gesunder Menschenverstand und seine Vertrautheit mit allen Verdächtigen eine große Hilfe gewesen.
    Doch ein Beweis für Fandorins noch nicht vollständige Genesungwar, dass er die Gesellschaft seines alten Freundes nach wie vor nur mit Mühe ertrug. Warum, warum hatte er gesagt: »Du kannst dich völlig frei fühlen«? Der verfluchte asiatische Casanova nutzte die Erlaubnis

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