Moskauer Diva
sollte. Die Wunde war wohl noch nicht ausreichend verheilt.
Hinter ihm hielt eine Droschke.
Eine klangvolle Stimme rief: »Warte!«
Sporen klirrten, Absätze klackten. Eine Hand in einem gelben Handschuh stellte einen Korb Veilchen vor dem Porträt ab.
Das versetzte Erast Petrowitsch einen noch empfindlicheren Stich. Er erkannte den Kornett, den er seinerzeit in die Loge eingelassen hatte. Auch Limbach erkannte ihn.
»Ich bringen jeden Tag einen!« Das junge, frische Gesicht erstrahlte in einem verzückten Lächeln. »Das halte ich für meine Pflicht. Bringen Sie auch Blumen? Erkennen Sie mich nicht? Wir waren zusammen in der ›Armen Lisa‹.«
Erast Petrowitsch wandte sich wortlos ab und trat beiseite, verärgert über sein wild pochendes Herz.
Ich bin krank, ich bin noch immer krank …
Er musste ein wenig warten, um wieder Herr seiner selbst zu werden. Zum Glück stand er direkt vor der Ankündigung des neuen Stücks. Ein Theaterliebhaber, der einen Anschlag studiert. Nichts Besonderes.
ZWEI KOMETEN AM STERNENLOSEN HIMMEL
ein Stück aus dem japanischen Leben
Die Buchstaben sollten aussehen wie japanische Schriftzeichen. Der Maler hatte ein paar alberne Figuren gemalt, die eher chinesisch aussahen als japanisch. Aus unerklärlichen Gründen hatte er sein Kunstwerk mit einem Kirschbaumzweig gekrönt, obwohl im Stück ein blühender Apfelbaum vorkam. Aber das war unwichtig. Wichtig war, dass die Bedingung eingehalten worden war: Statt des vollen Namens des Autors waren nur die Initialen angegeben: E. F.
Ich muss diese beschämende Episode so schnell wie möglich vergessen, dachte Fandorin. Und betete in Gedanken zum russischen und zum japanischen Gott sowie zur Muse Melpomene, das Stück möge mit Pauken und Trompeten durchfallen, aus dem Repertoire geworfen und für immer aus den Annalen der Bühnenkunst gestrichen werden.
Ohne es zu wollen, warf Erast Petrowitsch einen heimlichen Seitenblick auf seinen glücklichen Rivalen. Er war wütend, litt unter der Demütigung, aber er konnte nicht anders.
Der Junge ging und ging nicht – der Mann mit dem Portefeuille trat zu ihm, und sie redeten miteinander. Ihre Unterredung wurde immer lebhafter. Das heißt, das Oberhaupt der Schwarzhändler blieb ruhig und hob die Stimme nicht, nur der Kornett wurde laut. Fandorin vernahm einzelne Bruchstücke.
»Das ist eine Schweinerei! Wie können Sie es wagen! Ich bin Offizier der kaiserlichen Garde!«
Die Antwort war ein spöttisches Pfeifen. Daraufhin sagte der »Offizier der kaiserlichen Garde« etwas sehr Sonderbares: »Gehen Sie doch zum Teufel mit Ihrem Zaren!«
Der Mann mit dem Portefeuille pfiff nun nicht mehr spöttisch, sondern drohend, und sagte erneut leise etwas.
»Ich werde alles begleichen! Bald!«, rief Limbach. »Mein Wort eines Adligen!«
»Das haben Sie mir schon mehrfach gegeben«, blaffte sein Gegenüber schließlich. »Entweder Sie rücken das Geld raus, oder …«
Er packte den Kornett grob an der Schulter, und er schien eine recht schwere Hand zu haben, denn der junge Mann ging in die Knie.
Schade, dass
sie
nicht sieht, wie ihr Liebhaber vor seinem Gläubiger katzbuckelt, dachte Fandorin mit einer eines Gentleman unwürdigen Schadenfreude. Zu meiner Zeit hat kein Husarenoffizier so gewinselt. Er hätte den Grobian kurzerhand zum Duell gefordert.
Limbach aber entzog sich der skandalösen Situation anders. Er stieß den Beleidiger vor die Brust, sprang mit Anlauf in die Droschke und brüllte: »Fahr los! Fahr los!«
Durch den Stoß flog dem Gläubiger der Hut vom Kopf, und das Portefeuille fiel ihm aus der Hand. Es ging auf, und Papiere fielen heraus, darunter eine gelbe Mappe, die Fandorin bekannt vorkam.
Er machte ein paar Schritte, um besser zu sehen. Tatsächlich: In solchen Mappen verteilte Stern die Rollentexte an seine Schauspieler. Erast Petrowitschs scharfer Blick erfasste auch die groß gedruckten Worte
»ZWEI KOMETEN …«
Der Hobbypfeifer stopfte die Papiere zurück in das Portefeuille und wandte sich mit gebleckten Zähnen an Fandorin.
»Was treiben Sie sich dauernd hier herum, schnüffeln Sie wieder, Pat Pinkerton?«
Ach, das war ja interessant.
»Sie k-kennen mich also?« Erast Petrowitsch blieb vor dem am Boden hockenden Flegel stehen.
»Es ist mein Geschäft, alles zu wissen.« Er stand auf und war nun einen halben Kopf größer als Fandorin. »Nun, Monsieur Detektiv, warum sind Sie hier? In beruflichen oder vielleicht in Herzensangelegenheiten?«
Fandorin
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