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Moskauer Diva

Moskauer Diva

Titel: Moskauer Diva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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weidlich und wich nun kaum noch von Elisas Seite. Sie flüsterten miteinander wie zwei Turteltauben. Zuzuschauen, wie sie die Liebesszene probten, ging über Fandorins Kräfte. Wenn er in diesem Moment im Saal war, stand er sofort auf und ging hinaus.
    Gott sei Dank wusste der Japaner nichts von den Ermittlungen, sonst wäre er ihn nicht losgeworden. Ganz zu Anfang, als es nur um die operettenhafte Schlange im Blumenkorb ging, hatte Fandorin keine Notwendigkeit gesehen, in einer so unseriösen Angelegenheit seinen Assistenten hinzuzuziehen. Nicht allzu kompliziert war ihm zunächst auch der Tod von Smaragdow erschienen. Und zum Zeitpunkt der Operation »Jagd mit Köder« hatte das Verhältnis zwischen Herrn und Diener bekanntlich bereits einen Riss – Masa hatte sich ungeniert die Rolle angeeignet, die Fandorin für sich selbst geschrieben hatte.
    So gingen die Tage dahin. Die Truppe war in fieberhafter Aufregung vor der Premiere, Masa kam erst spätabends von der Probe heim – und stellte jedes Mal fest, dass sein Herr sich bereits ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte. Und Fandorin, der sich für seine Gedankenträgheit hasste, bewegte sich im Kreis: Er schrieb Namen und mögliche Motive auf ein Blatt Papier.
    »Mefistow: Pathologischer Hass auf schöne Menschen?
    Lissizkaja: Gekränktheit, pathologische Wesensstörung?
    Klubnikina: Eine heimliche Romanze mit dem Opfer?
    Reginina: Extreme Abneigung gegen Smaragdow.
    Stern: Pathologische Sensationsgier.
    Prostakow: Ist keineswegs so schlicht, wie es scheint.«
    Und so weiter in dieser Art.
    Dann strich er wütend alles durch: Das war kindisch! Das Wort»pathologisch« tauchte in der Liste öfter auf, als die kriminalistische Theorie es zuließ. Doch das Milieu hatte ja zweifellos etwas Pathologisches. Stern zitierte immer wieder gern die Shakespeareschen Worte: »Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Frau’n und Männer bloße Spieler.« 7 Schauspieler halten in der Tat das Leben für eine große Bühne und die Bühne für das Leben. Eingebildetes wird zur unanfechtbaren Wirklichkeit, die Maske zum Gesicht, Verstellung ist das einzige natürliche Verhaltensmuster. Für diese Menschen ist unwesentlich, was für den normalen Menschen den eigentlichen Sinn des Lebens ausmacht, und umgekehrt würden sie ihr Leben geben für Dinge, die anderen nichts bedeuten.
     
    Einige Tage vor der Premiere rief Noah Nojewitsch Fandorin zu einer dringenden Beratung zu sich. Er wollte wissen, ob der Autor etwas dagegen hätte, wenn der Akzent in der Schlussszene ein wenig verschoben würde – vom Text auf den visuellen Effekt. Da die Hauptheldin in der Schlussszene vor einer geöffneten Schatulle sitzt, muss »die Requisite eine Funktion haben«, denn im Theater darf kein Gewehr auftauchen, das nicht schießt. Darum habe sich Dewjatkin etwas Interessantes ausgedacht. Er hatte lange mit diversen Drähten hantiert, in einer Schaukel unter der Decke gehangen, an der Schatulle herummanipuliert und schließlich dem Regisseur die Frucht seines Erfindergeistes präsentiert. Stern war begeistert – der Einfall war ganz nach seinem Geschmack.
    Nach dem Satz, mit dem das Stück endet, geschieht ein Wunder: Über dem Saal erstrahlen zwei Kometen, bestehend aus vielen kleinen Lämpchen. Während die Heldin den Kopf in den Nacken legt und die rechte Hand hebt, auf die die Aufmerksamkeit der Zuschauer gerichtet sein wird, drückt sie unauffällig einen kleinen Knopf – und alle werden staunen.
    George demonstrierte seine Erfindung. Eine tadellose Arbeit. Auf der Vorderseite, die die Zuschauer nicht sehen konnten, hatte der Meister eine elektrische Zeitanzeige montiert: Stunde, Minuten, sogar Sekunden.
    »Das habe ich bei einem speziellen Elektrolehrgang für Pioniere gelernt«, sagte er stolz. »Schön, nicht?«
    »Aber wozu ist die Uhr in der Schatulle?«, fragte Elisa.
    »Nicht wozu, sondern für wen. Für Sie, meine Liebe«, sagte Noah Nojewitsch. »Damit Sie die Pausen nicht zu lange ausdehnen. Diese kleine Sünde begehen Sie manchmal. Achten Sie auf die Sekunden und lassen Sie sich nicht ablenken. Ein großartiger Einfall, George! Solche blinkende Uhr sollten wir auch über der Bühne anbringen. Für alle Schauspieler. Viele reißen das Spiel nämlich gern an sich.«
    Der Assistent unterbrach ihn: »Nein, nein, ich habe das nicht deswegen … Ich dachte, später, wenn das Stück abgespielt ist, kann Elisa die Schatulle behalten – als Erinnerung. Eine Uhr ist immer nützlich … Hier

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