Moskito
mißverstanden und den Geburtsschein auf den Namen ›Melanie‹ ausgestellt hatte. Patty hatte sich damit abgefunden. Und vermutlich hätte Melanie ›A Pretty Girl Is Like a Melody‹ als noch schlimmere Beleidigung empfunden. Irgendwie schien es, daß so ziemlich alles, was Patty in letzter Zeit von sich gab, von ihrer Tochter als solche aufgenommen wurde.
An der medizinischen Fakultät hatte Melanie sich ›Mel‹ genannt und den wenigen Schwarzen ihres Jahrgangs angeschlossen. Mitte der siebziger Jahre war das so üblich gewesen. Sie war Mitglied der Black Panthers und trug das Haar im Afro-Look, der, weil ihre Haut relativ hell und ihr Haar nur leicht gewellt war, fürchterlich mühevoll hinzukriegen und zu erhalten war.
Erst in ihrer Arztpraxis kehrte sie zu ›Melanie‹ zurück, doch nach sechs Monaten war ihr bereits völlig gleichgültig, wie man sie nannte, wenn man sie nur anderswo so nannte. Es langweilte sie zu Tode, immer wieder die gleichen Sachen behandeln zu müssen: Babies mit Koliken, alte Leute winters mit Grippe und sommers mit Hautausschlägen. Sie entdeckte – mit Entsetzen –, daß sie mit wachsender Reizbarkeit all diesen Übergewichtigen mit hohem Blutdruck entgegentrat, die sich weigerten abzunehmen, den Rauchern mit dem ewigen Husten, die sich weigerten, das Rauchen aufzugeben, den beginnenden Leberzirrhosen, die sich weigerten, die Flasche sein zu lassen. Und so kam es, daß sie aus Langeweile und Frustration beinahe anfing, die Leute zu hassen – ihre Leute, denen zu helfen sie ihr Studium auf sich genommen hatte.
Doch bevor es noch ganz soweit war, schloß Melanie Anderson ihre Privatpraxis und bewarb sich um eine Stelle beim Epidemischen Informationsdienst des Zentrums für Seuchenkontrolle. Wenn die Medizin es schon schaffte, Haß in ihr zu erzeugen, dann sollte es wenigstens Haß auf Mikroben sein und nicht auf Menschen.
Es stellte sich heraus, daß sie enormes Talent für die Identifizierung und Überwachung von Krankheiten hatte. Den vom Zentrum verlangten praktischen Einsatz leistete sie in Afrika während eines Ausbruchs von Schweinegrippe im Senegal ab. Dort entdeckte sie, daß sie auch ein Talent für Sprachen hatte. Die Eingeborenen vertrauten ihr, dieser afrikanischen Amerikanerin, die sich die Mühe machte, ihre Dialekte zu erlernen, und Melanie lieferte dem Team im Senegal eine Serie hervorragender und unendlich wichtiger Grafiken, aus denen der Verlauf und die Quelle des Ausbruchs der Epidemie hervorging. Außerdem erwies sie sich als recht tüchtige Labor-Epidemiologin – zumindest für alles, was größer war als die DNA selbst.
Im Verlauf der nächsten fünf Jahre kehrte Melanie sechsmal nach Afrika zurück – und fünfmal davon wegen der Malaria. In Zentralafrika ist Malaria immer noch der Killer Nummer eins, und in einigen Regionen starben während der stärksten Ausbrüche des virulentesten Typs 40 Prozent aller Kleinkinder. Manchmal brach das, was sie zu Gesicht bekam, Melanie das Herz, aber sie sah ihre Arbeit stets als Herausforderung, machte sich immer nützlich und verspürte keine Langeweile. Sie war glücklich. Und die Männer, denen sie auf zwei Kontinenten begegnete und die von dieser samtigen Schönheit mit ihrer kratzbürstigen Art und dem scharfen Intellekt fasziniert waren, mußten alle nach und nach erfahren, daß Melanie ihre Gesellschaft zwar genoß, aber an mehr nicht interessiert war. Sie würden im Wettstreit mit einem ansehnlichen Ausbruch von Plasmodium falciparum immer den kürzeren ziehen.
Jetzt las Melanie die Befunde aus New York noch einmal durch, verdrehte in privatem Zweifel an der ganzen Sache die Augen und ging daran, die Blutproben für eine Serie von Tests aufzutauen.
Vier Stunden später stand sie wie vor den Kopf geschlagen in der Mitte ihres Labors. Nein. Nein. Das war einfach nicht möglich! Sie hatte irgendwo einen Fehler gemacht.
Aber sie wußte, da war keiner.
Bei den meisten Arbeitsprozessen der Abteilung für spezielle Pathogene bestand der erste, ermüdende Schritt darin, den unbekannten Krankheitserreger zu isolieren. Das bedeutete tage- oder wochenlanges Experimentieren zur Bestimmung des richtigen Nährmediums für das Anlegen von Kulturen, der richtigen Versuche und Reagenzien und Färbemittel und optimalen Temperaturen und eines Dutzends anderer Faktoren. Diesmal war das alles nicht notwendig. Im New Yorker Labor wußte man ganz genau, was man ihr da geschickt hatte. Es durfte nur einfach nicht
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