Moskito
Wahl hatten. Denn hätten wir den Impfstoff selbst verabreichen wollen, dann wäre das gezwungenermaßen durch das Zentrum für Seuchenkontrolle geschehen; doch dort hätte man ohne Zweifel seinen Effekt auf die epidemiologischen Kurven bemerkt und den Impfstoff in seine Atome zerlegt. Außerdem hätte das Zentrum ihn überall auf der Welt einsetzen wollen, und damit wäre sein Nutzen als Gegenwaffe dahin gewesen. Der verbündete Staat hätte in jedem Fall den Impfstoff bekommen – dazu hätte er nur das Blut der geimpften Kongolesen analysieren müssen. Also überließen wir den Impfstoff gleich unserem Verbündeten, der ihn dann durch die ›Ärzte ohne Grenzen‹ verabreichen ließ. Und die sind viel zu überarbeitet, um irgend was zu analysieren.«
»Wer ist es?« beharrte Melanie. »Es muß einer der Signatarstaaten der Weltgesundheitsorganisation sein, denn Brian Spencer bekam seine Medikamente von der WHO. Israel? Deutschland? Ein südamerikanisches Land? Die Malaria ist in Südamerika endemisch!«
Nein, dachte Cavanaugh. Nicht Südamerika. Nicht Israel. Nicht Deutschland.
»Wer?«
»Ich kann Ihnen das nicht sagen«, erklärte Broylin. »Nicht jetzt und nicht in der Zukunft. Hier erfolgt die Weitergabe von Informationen nur an jene, die sie unbedingt brauchen. Sie wissen bereits genug, um zu verstehen, was passiert ist und warum und in welche Lage die Vereinigten Staaten international gebracht wurden.«
Irland, dachte Cavanaugh.
Michael Sean Donohue hatte Verbindungen zur IRA, eine Tatsache, die es nie bis in die Zeitungen geschafft hatte. Dort war man zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich auf Donohues teilweise schwarzen Altvorderen zu stürzen. Der Schlüssel war die Wertigkeit von Beweisen.
Melanie meinte, das FBI hätte genug unumstößliche Beweise – »nicht bloß Indizienbeweise!« hatte sie betont –, für eine Verurteilung vor einem ordentlichen Gericht. Aber Melanie war keine Juristin. Ebensowenig wie Cavanaugh, aber als FBI-Agent hatte er im Laufe der Zeit ein beachtliches Rechtswissen angehäuft. Der Regierung der Vereinigten Staaten fehlten die unumstößlichen Beweise für eine Überführung der Terroristen. Das hieß, daß diese Untersuchung immer noch im Gange war, und vermutlich handelte es sich dabei um ein gemeinschaftliches Vorgehen der amerikanischen und der irischen Regierung, ja, vielleicht auch der britischen, gegen den gemeinsamen Feind innerhalb der eigenen Grenzen.
Es war ein radikaler Zweig der Irischen Republikanischen Armee gewesen, der die Malaria reading in die Welt gesetzt hatte! Und die IRA war gemeint, als Broylin gesagt hatte: »… könnte Sie beide in Gefahr bringen, die Ihnen jedoch weder vom FBI noch von der CIA droht.«
Von der IRA, deren brutale Methoden – wenngleich nicht ihre Endziele – sogar von der irischen Regierung abgelehnt wurden. Von der IRA, die sich unter den Amerikanern irischer Abstammung immer schon tatkräftiger Unterstützung erfreut hatte. Von der IRA, die auch schon früher nicht gezögert hatte, in ihrem Kampf für eine Absplitterung Nordirlands von Großbritannien Zivilpersonen zu töten. Und die natürlich wußte, wie rasch die Zahl der Einwanderer in London wuchs. Und plötzlich sah Cavanaugh den Eintrag einer on-line-Enzyklopädie, in dem er zum ersten Mal etwas über die Sichelzellenanlage gelesen hatte, so deutlich vor sich, als wäre er ein Teil von Broylins grüner Mappe:
VOR LANGER ZEIT KAMEN DIE WEDDA AUS IHRER HEIMAT IN INDIEN ÜBER DIE LANDBRÜCKE NÖRDLICH DES ROTEN MEERES NACH AFRIKA. MIT SICH BRACHTEN SIE JENES GEN, DAS FÜR EINE ABNORMALE FORM DES HÄMOGLOBINS VERANTWORTLICH WAR: DAS SICHELZELLENGEN. DIE SICHELZELLENANLAGE IST IN BESTIMMTEN TEILEN INDIENS IMMER NOCH SEHR VERBREITET …
Und bei Indern, die nach London auswanderten.
Aber – Moment mal, war es in London nicht zu kalt für Malariamoskitos? Cavanaugh dachte daran, was er sonst noch gelesen hatte. Bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war London jeden Sommer von der Malaria heimgesucht worden; die Krankheit wurde im Frühjahr von Segelschiffen eingeschleppt, wütete den ganzen Sommer hindurch und erlosch im Winter wieder, nur um im folgenden Frühjahr wiederum auszubrechen. Oliver Cromwell hatte sein ganzes Leben an Malaria gelitten. Und Oliver Cromwells London war nicht dieser urbane Hitzekessel gewesen, den die große Stadt heute darstellte. Heute würde die Malaria reading im Lauf eines einzigen Sommers genug Tod und Panik erzeugen
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