Moskito
über, wie die Presse es nannte, ›Malaria reading‹ entdeckt hatten. Anscheinend klang Plasmodium reading nicht schrecklich genug.
Was am schlimmsten war: Judy konnte Libby Turner gar keinen Vorwurf machen. Die Turner war Journalistin und machte genau das gleiche wie Judy, wenn sie für einen Wissenschaftsbericht recherchierte. Und eigentlich war es auch das gleiche, was Robert tat, wenn er seine Fälle verfolgte. Aber das machte ihn um keine Spur versöhnlicher ihr gegenüber.
»Ich habe doch gesagt, du sollst die Sache vertraulich behandeln!« hatte er sie am Vorabend über das Telefon angeschnauzt. »›Vertraulich‹ schließt nicht die Millionen ein, die am Internet hängen!«
»Es tut mir leid, Robert, ich habe nicht gedacht …«
»Ganz offensichtlich nicht!« hatte er sie unterbrochen und aufgelegt. Das paßte gar nicht zu ihm, aber rückblickend war Judy froh, daß er es getan hatte. Das setzte ihn ins Unrecht. Und es verschob das Machtverhältnis zu ihren Gunsten. Nun würde es an ihm liegen, sich zu entschuldigen – oder zumindest den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun, und dazu würde wahrscheinlich auch die Vergebung für ihren Internet-Schnitzer gehören. Und da es sich hier um Robert handelte, würde die Entschuldigung höchstwahrscheinlich in Form einer Zeichnung kommen.
Also wartete sie auf eine Zeichnung.
Das Fax hörte auf zu surren. Judy ging hinüber, riß das Blatt ab und nahm es mit zu dem schwach leuchtenden Monitor. Es trug seine Schrift in kleinen Blockbuchstaben:
JUDY – ICH WERDE EINE WEILE NICHT NACH HAUSE KOMMEN, WEIL ICH VON DER BILDFLÄCHE VERSCHWINDEN MUSS. DU KANNST MICH UNTER 301-5555 ERREICHEN. SPRICH NICHT MIT DER PRESSE! – ROBERT
Keine Entschuldigung. Und wie lange war ›eine Weile‹? Und was meinte er mit ›von der Bildfläche verschwinden‹? Er war doch kein Geheimagent um Himmels willen! Die Geheimagenten waren ein völlig anderer Schlag: unruhige, den Nervenkitzel suchende Einzelgänger, und alle leicht verrückt. Das hatte Robert Dutzende Male erwähnt – mit jener Mischung aus Bewunderung und Distanziertheit, mit der alle FBI-Agenten den Geheimen gegenüberzustehen schienen. Was also ging hier vor?
Judy kaute an ihrem Daumen und starrte die Nummer auf dem Fax an. Es war nicht die seines Handys. Nun, das überraschte sie nicht, denn das Handy gehörte dem FBI und sollte für berufliche Gespräche reserviert sein. Außerdem war ›301-5555‹ keine Nummer aus Washington, D.C., sondern eine Vorortenummer. Sie tippte sie ein.
Eine Frauenstimme auf dem Anrufbeantworter: »Sie sprechen mit 301-5555. Bitte hinterlassen Sie eine Botschaft, ich rufe sobald wie möglich zurück.«
Wer war sie?
Judy tippte eine andere Nummer ein. Als Wissenschaftsjournalist lernte man eine Menge Leute kennen. Vor einem Jahr hatte sie eine Streifenpolizistin interviewt, die unter ihrem gemieteten Ferienhaus das Skelett eines, wie sie glaubte, Mordopfers entdeckt hatte. Doch das Skelett hatte einem fünfhundert Jahre alten Cherokee gehört, was die Sache zwar zu einer Peinlichkeit für die Gesetzeshüter machte, denn die hatten bereits eine Mordfallakte eröffnet, jedoch zu einem Segen für die Wissenschaft. Die Polizistin fühlte sich schuldbewußt wegen ihres Fehlers, doch sie nahm alles mit Humor, und sie und Judy standen seither in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinander.
»Polizeibehörde Maryland.«
»Die Polizeibeamtin Tess Muratore, bitte«, sagte Judy.
»Einen Augenblick.«
Keine Zeichnung. Nicht einmal ein ›Küßchen, Robert‹. Warum nicht?
»Muratore.«
»Tess, hier spricht Judy Kozinski. Hör mal, ich muß dich um einen großen Gefallen bitten.«
Tess’ Stimme verlor ihre zurückhaltende Bullen-Formalität. »Hallo, Judy! Solange der Gefallen nicht gesetzwidrig ist.«
»Nur ein klein wenig.«
Tess sagte nichts.
»Ich brauche nur einen Namen und eine Adresse, die zu einer Telefonnummer gehören.«
»Du weißt, ich kann nicht …«
»Es ist rein persönlich, Tess. Wegen Robert. Der immer noch eine harte Nuß ist, wenn es darum geht, mich zu heiraten. Und ich gebe dir mein Wort, daß dein Name nie erwähnt wird.«
Tess hatte ihre eigenen Männerprobleme, wie Judy wußte. Ihr Ehemann, auch ein Bulle, war ein Schürzenjäger wie Ben, Judys verstorbener Mann. Judy und Tess hegten verständnisvolles Mitgefühl füreinander, hörten einander zu und waren der jeweils anderen eine emotionale Stütze in jener Art verbal gelebter
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