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Motiv Angst

Motiv Angst

Titel: Motiv Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Szillat
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    Lisa, 11 Jahre alt, Schülerin an einem Gymnasium

F REMD
    Als Jan die Haustür hinter sich zuschlug, atmete er tief durch und holte den Zettel aus seiner Hosentasche, auf den er Victors Adresse aus dem Telefonbuch abgeschrieben hatte. Zum Glück war seine Mutter am Nachmittag zu einem geschäftlichen Termin unterwegs und hatte Jule zuvor bei einer Freundin abgesetzt. Sein Vater würde auch erst am späten Abend von einer Geschäftsreise zurückkehren. Somit musste Jan niemandem erklären, wo er sich den ganzen Nachmittag aufhalten würde. Die Straße, in der Victor wohnte, lag in einem ganz anderen Stadtteil. Jan war dort noch niemals zuvor gewesen, wusste aber von seiner Mutter, dass es sich um einen sozialen Brennpunkt handeln sollte. Was allerdings „sozialer Brennpunkt“ zu bedeuten hatte, war Jan absolut unklar. Mit dem Stadtplan in der einen und der Adresse in der anderen Hosentasche, schwang er sich auf sein Fahrrad und radelte los. Nach einer halben Stunde und zwei Stopps, die er brauchte, um auf dem Plan den richtigen Weg zu verfolgen, bog er in die Straße ein, in der Victor wohnen musste. Mit so einer trostlosen Gegend hatte Jan nicht gerechnet. Graue, schmucklose Hochhäuser reihten sich aneinander und schienen einfach kein Ende nehmen zu wollen. Die paar Leute, die sich auf der Straße aufhielten, sahen fast ebenso grau und abweisend wie die gesamte Siedlung aus. Ein Mann in einem schmuddeligen Jogginganzug zog einen dicken schwarzen Hund hinter sich her. Gegenüber auf der anderen Straßenseite schob eine alte Frau einen Einkaufswagen, wie man ihn im Supermarkt benutzte, vor sich her. Aus einem geöffneten Fenster hing eine wohl noch von der Fußballweltmeisterschaft übrig gebliebene, völlig zerfledderte Deutschlandfahne heraus. Im Fensterrahmen entdeckte Jan einen dicken Mann im Unterhemd mit einer Flasche Bier in der Hand.
    Auf einem Spielplatz, der eigentlich nur durch eine farblose Sandkiste an einen Spielplatz erinnerte, hockten ein paar kleine Kinder. Daneben standen zwei rauchende Frauen und unterhielten sich. Eine dritte mit fettigen Haaren versuchte ihrem schreienden Kleinkind einen Schnuller in den Mund zu stopfen und wurde immer ärgerlicher, weil es den Schnuller immer wieder ausspuckte. Als sie Jan bemerkte, keifte sie ihn an: „Was gibt´s denn da so dämlich zu glotzen?“ Jan sah zu, dass er sein Rad schnell weiterschob. Ein paar Häuser weiter kramte er den Zettel aus seiner Hosentasche hervor, obwohl er den Straßennamen und die Nummer inzwischen auswendig kannte. Beethovenstraße 33 – hier hätte sich Beethoven sicher nicht wohlgefühlt, schoss es Jan für einen kurzen Moment durch den Kopf. Jan suchte das Haus, vor dem er stand, nach einer Hausnummer ab und entdeckte die Nummer 27. Victor wohnte in der 33, also nur drei Häuser weiter. Langsam schob er sein Rad vorwärts, immer mit der Angst im Nacken, vor dem nächsten Hauseingang plötzlich auf Victor und seine Gang zu stoßen. Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht? Was will ich nur hier?, stellte Jan sich selbst die Frage, obwohl er die Antwort ganz genau wusste. Er musste etwas über Victor erfahren. Jan wollte herausfinden, ob es etwas gab, wovor auch Victor Angst hatte. Seine Mutter hatte gesagt, auch die Täter hätten Angst, und seit dem Telefonat war sich Jan ganz sicher, dass er die Antwort auf seine Frage hier in dieser schäbigen und heruntergekommenen Siedlung finden würde. Dann war er vor der 33 angekommen. Ohne weiter darüber nachzudenken, lehnte er sein Rad an die Hauswand an und suchte die unzähligen Schilder nach dem Namen Wolf ab. In der Mitte links fand er ihn. Zögerlich streckte er seinen Finger nach dem verkratzten Klingelknopf aus. Sollte er es wagen? Oder lieber wieder abhauen? Plötzlich kam ihm seine ganze Aktion völlig bescheuert vor. Und dann? Was wollte er Victor sagen, wenn er vor ihm stehen würde? Hey, Victor, kannste vielleicht mal deine Prügelliste zerreißen und zugeben, dass auch du vor irgendetwas Angst hast? Und wenn wir schon mal so schön dabei sind, war der versoffene Schreihals neulich am Telefon eigentlich dein Vater? „Was für ´n Schwachsinn!“, murmelte er vor sich hin und nahm seinen Finger vom Klingelknopf. Doch gerade als er sich von der Haustür abwenden wollte, wurde diese schwungvoll nach innen aufgezogen. Zwei kleine

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