Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Motiv Angst

Motiv Angst

Titel: Motiv Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Szillat
Vom Netzwerk:
Mädchen sprangen lachend ins Freie und rannten, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, an Jan vorbei. Bevor die Tür wieder ins Schloss fallen konnte, war Jan ins Treppenhaus gehuscht. Er stand eine Weile unschlüssig herum und sah sich um. Die Metallbriefkästen waren fast alle aufgebrochen worden, Werbeblätter quollen heraus, auf dem Boden lag neben mehreren leeren Flaschen und Bierdosen ein zerfledderter Stoß Zeitungen. Die Hauswände waren mit üblen Sprüchen übersät.
    Fick deine Alte, Ismael ist ´ne schwule Sau, Torte, besorg es mir, Heute schon gevögelt?
– Jan hatte genug gelesen und wandte sich ab. An den meisten Wohnungstüren konnte Jan kein Namensschild entdecken, doch dem Klingelschild nach zu urteilen musste sich Victors Wohnung ziemlich weit oben befinden. So lautlos wie nur möglich schlich sich Jan die Treppe hinauf. Hinter einer Tür hörte er ein Baby entsetzlich schreien, eine Etage weiter brüllte ein Mann offenbar seine Frau an, denn eine hysterische Frauenstimme keifte ebenso laut zurück. Schließlich stand Jan vor einem verdreckten Schild, auf dem er den Namen Wolf entziffern konnte. Sein Herz klopfte so heftig gegen seinen Brustkorb, als wollte es jeden Moment herausspringen. Jan atmete tief durch und machte einen vorsichtigen Schritt zur Tür. Und dann noch einen. Am liebsten hätte er sein Ohr an sie gedrückt, um zu hören, was hinter ihr gerade geschah. Aber das wagte er dann doch nicht. Plötzlich hörte er unten im Hausflur Schritte. Jemand kam eilig die Treppe heraufgelaufen. O, Shit!, mehr konnte Jan nicht denken und dann rannte er einfach los. Erst ein paar Stufen nach unten, bis ihm klar wurde, dass er demjenigen, der dort gerade hochgeeilt kam, direkt in die Arme laufen würde. Also machte er auf dem Absatz kehrt und rannte die Treppe wieder hinauf. Noch mal vorbei an Victors schäbiger Wohnungstür hetzte er weiter die Stufen hoch, bis er in der obersten Etage angekommen war. Dort ließ er sich atemlos an einer Flurwand sinken und wartete. Was anderes konnte er sowieso nicht machen. Die Schritte kamen näher, und Jan war fest davon überzeugt, dass jeden Moment Victor vor ihm stehen würde. Es wäre ja schließlich nicht ungewöhnlich, wenn er ihm in dem Haus, in dem er wohnte, begegnen würde. Doch es war nicht Victor. Es war eine junge blonde Frau, die Jan freundlich zunickte.
    â€žSuchst du was?“ Ihr hatten die vielen Treppenstufen anscheinend überhaupt nichts ausgemacht, denn ihre Stimme klang völlig entspannt.
    â€žWie?“, keuchte Jan dafür umso mehr.
    â€žIch habe dich gefragt, ob du etwas oder vielleicht auch jemanden suchst.“
    â€žNein!“
    â€žGut.“ Sie hob die Achseln und ging weiter. An der nächsten Haustür blieb sie stehen, steckte den Schlüssel ins Schloss, drückte die Schulter gegen die Tür und war verschwunden. Jan blieb nahezu fassungslos zurück und kam sich selten blöd vor. Dieser Verfolgungswahn nahm offenbar schon krankhafte Züge bei ihm an. Überhaupt war diese ganze Aktion der absolute Schwachsinn. Von wegen alle haben Angst. Der Einzige, der hier Angst hatte, war er – sogar schon vor einer völlig harmlosen jungen Frau. Als Jan das dritte Mal an Victors Wohnungstür vorbeikam, schaute er noch nicht einmal mehr zur Seite. Er wollte nur noch weg. Vor wem oder was Victor Angst hatte, interessierte ihn kein bisschen mehr. Er würde seine Eltern bitten, ihn von der Schule zu nehmen. So wie Nico. Und in diesem heruntergekommenen Wohnviertel wollte er sich sowieso nicht aufhalten. Vielleicht könnte seine Familie ja auch einfach wegziehen. In eine andere Stadt oder sogar in ein anderes Land. Seine Mutter hatte schließlich schon ein paarmal gesagt, dass sie gerne für einige Jahre im Ausland leben möchte. Das wäre doch jetzt die passende Gelegenheit dafür. Ein paar Jahre weg und dann wäre garantiert Gras über die Sache gewachsen. Genau, das war die Lösung. Warum war ihm das bloß nicht schon vorher eingefallen? Völlig in Gedanken versunken, hatte Jan die Haustür erreicht. Jetzt, wo er wusste, was zu tun war, fühlte er sich richtig erleichtert. Alles war ganz einfach. So wunderbar einfach. Fast fröhlich streckte er die Hand nach der Klinke aus, umfasste sie und wollte gerade die Haustür schwungvoll nach innen ziehen, als sich von der anderen Seite jemand heftig

Weitere Kostenlose Bücher