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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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»Piiiieeeep, piiieeeeeep, piiiiieeeeeep!!!!«
    Der Typ steht am Tresen und seine Mundwinkel heben sich zu einem langsamen, freundlichen Lächeln. Aus der Nähe sieht er noch besser aus – weit auseinanderliegende Augen in der Farbe von nassem Schiefer, fantastische Wimpern, dunkelbraunes Haar, das ihm in die Augen fällt. Ich verspüre plötzlich eine starke Sehnsucht, als hätte ich Hunger oder Durst, aber irgendwie anders. Er schaut mich immer noch an.
    »Hi, Ellie«, sagt er.
    Kenne ich diesen Typen? Ich starre ihn ebenfalls an. Noch ein Blitz. Auf keinen Fall. Dieses Gesicht hätte ich niemals vergessen.
    »Du erinnerst dich nicht an mich, stimmt’s?«, fragt er. Er blinzelt. Diese Augen! Ich kenne diese Augen!
    Ich lächele.
    »Du bist Sean, von der Party!«, sage ich. Ich erinnere mich an den Moment auf der Treppe, die kurze, seltsame Begegnung mit der Gummimaske. Das hatte er also darunter versteckt.
    Brad lässt meinen Arm los. Ich höre, wie er heftig die Luft einzieht.
    »Hallo.« Sean lächelt Brad an, legt dann leicht den Kopf zurück und kratzt sich den Nacken. »Wie geht’s?«
    Brad bringt ein knappes »Hi« heraus.
    Ich durchlebe wieder den Moment, als wir uns auf der Party die Hand gegeben haben. Sean, der meine Hand hielt wie etwas unendlich Wertvolles. Das Blut steigt mir ins Gesicht.
Sean schaut wieder zu mir. »Ich kam gestern nicht mehr dazu, es dir zu erklären.«
    »Was erklären?«
    »Wie man Verstecken spielt. Weißt du noch? Du hattest es beinahe kapiert, aber ein wichtiges Element hat dir gefehlt. Es geht so…« Er grinst. »Okay. Zuerst schließt du die Augen und zählst bis zehn, damit sich alle verstecken können. Dann macht man die Augen auf, und dann – das ist entscheidend«, – er hebt den Zeigefinger –, »dann suchst du. Klar? Diesen Schritt hast du ausgelassen, glaube ich.« Er lächelt wieder. »Das Suchen. Die Augen hast du einwandfrei aufgemacht, also musst du dich nicht schlecht fühlen oder so.« Er nickt ganz ernst. »Man braucht ein bisschen Übung.«
    Wenn ich doch nur nicht rot werden würde! »Danke.« Ich muss lächeln. »Für deine Hilfe… bei dieser Sache.« Ich fasse an mein Gesicht. Wir drei stehen einfach nur da und starren uns an. Ich bin total verwirrt. Aber wenigstens nicht mehr so traurig wie gerade eben noch.
    Das Schweigen wird allerdings allmählich unangenehm.
    »Möchtest du irgendwas?«, frage ich unvermittelt. »Zum Beispiel… äh… einen Muffin? Wir haben hier Muffins. Sie sind nicht sooo toll, aber riesig, also falls du Lust hast, extrem viel zu essen …«
    Sean lacht. »Nein, danke«, sagt er. »Aber ich hätte gerne einen eisgekühlten Kaffee, wenn es geht. Oder einen normalen und ein paar Eiswürfel, dann mische ich beides im Mund.«
    Ich lächele wieder und gehe zu dem riesigen Kühlschrank, um den Krug mit dem gekühlten Kaffee zu holen. Ich sehe
Seans Spiegelbild im Glas, er beobachtet mich. Ich gieße den Kaffee in einen Becher, mache kehrt und reiche ihm sein Getränk. Der Becher ist bereits von einer dünnen Kondensschicht überzogen. Er greift danach. Unsere Finger berühren sich. Ein elektrischer Schock schießt meinen Arm hinauf. Und so stehen wir eine Weile, halten den Becher gemeinsam, Finger an Finger. Bis mir klar wird, dass ich eigentlich loslassen sollte.
    Brad räuspert sich. »Ellie?«, sagt er laut. Er benützt seine dramatische Stimme, die eine Oktave höher ist als seine normale. Oh nein. Das kann nur Schlimmes bedeuten. »Deine Schicht endet ja sowieso in zehn Minuten«, – er schaut auf seine Armbanduhr –, »aber wenn du ein bisschen früher gehen willst, ist das kein Problem.«
    Ich schaue auf die Uhr. Es ist erst zehn vor vier. Meine Schicht endet eigentlich erst um sieben. Mein Blick sucht Brads. Er starrt mich an und nickt langsam, die Augen weit aufgerissen. Er bemüht sich nach Kräften, nicht zu grinsen.
    »Okaaaaay«, sage ich und nicke ebenfalls langsam. Gut, bisher war es noch nicht allzu peinlich.
    Brad schaut Sean an. »Hast du ein Auto?«
    Oh nein!
    »Ja.« Sean legt den Kopf schief.
    »Super«, sagt Brad. »Könntest du deine Freundin Ellie nach Hause fahren? Ihre Mitfahrgelegenheit hat abgesagt und der Bus ist einfach zu gefährlich.«
    Mein Gesicht brennt. Ich schaue zu Boden.
    »Klar«, sagt Sean. »Gerne. Da war mein Timing ja genau richtig, stimmt’s?« Er grinst. Falls Brad für ihn genauso
unecht klingt wie für mich, verbirgt er es mit bemerkenswertem Geschick.
    »Danke«, sage ich zu Sean.

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