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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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von Nina gefunden habe.
    »Wir werden sie finden, Ellie«, sagt Sean. Er sieht mir fest in die Augen. »Der nächste Hinweis kommt bestimmt, okay? Ganz sicher. Ich weiß es einfach. Aber wenn du jetzt aufgibst, dann übersiehst du ihn vielleicht, selbst wenn er direkt vor deiner Nase auftaucht.«
    Ich schaue auf meinen Teller. Auf einmal bin ich unendlich müde. Ich könnte auf der Stelle einschlafen, das Käsebrot als Kissen. Sean nimmt den letzten Schluck seines zweiten Bechers Kaffee und stellt ihn dann zur Seite. Er deutet auf den dritten Becher. »Da drin sind Ideen. Brillante Ideen, die dich umhauen werden. Ich muss den Becher nur austrinken, dann erzähle ich sie dir.«
    Ich versuche zu lächeln. Der Ausflug war ein Fehlschlag, und das wissen wir beide. Es ist süß, dass er so optimistisch ist, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Ich fürchte, ich heule gleich los.

    »Bin gleich zurück«, sage ich. Ich stehe auf. »Ich muss mal.«
    Ich spüre Seans Blicke auf mir, als ich nach hinten laufe und die hölzerne Tür aufdrücke. Der gesamte Toilettenraum ist mit Kritzeleien übersät: Die Wände, die Waschbecken, der Boden, die Decke, die Toiletten, der Papierhandtuchspender, der Mülleimer, die Fenster. Jack liebt Sarah , steht mit dickem schwarzem Edding auf einer der Kabinentüren. Neben meinem Fuß sehe ich AJ und CJ Forever in Pink. Neben zwei sich küssenden Mündern auf einem Mülleimer steht Lindsay und Jeanine . Und auf der anderen Seite des Eimers: SP wird TM nie in den Müll werfen!
    Eine Frau kommt schniefend aus einer Kabine, ihre Augen sind rot und geschwollen. »Glaub den Mist bloß nicht«, sagt sie.
    »Wie bitte?«
    Sie schnäuzt sich lautstark in ein Stück Toilettenpapier. »Den ganzen Mist, den die Leute in diesen Bussen über den ersten Fahrer und die erste Kellnerin in den Anfangstagen des Diners erzählen. Über ihre besondere Liebe, Blabla, und dass wegen ihnen diese Toilette Zauberkräfte haben soll und alle Menschen, die ihre Namen auf die Wand schreiben, sich auf ewig lieben werden. Glaub es bloß nicht.« Sie beugt sich vor und zeigt auf den Schriftzug Desmond liebt Annie auf dem Boden. »Alles Bockmist.« Sie zieht einen violetten Edding aus ihrer Hosentasche, streicht das liebt Annie durch und ersetzt es durch hat einen Streichholzpimmel . Dann schaut sie zu mir hoch. »Das stimmt wirklich. Eine Salzstange ist dicker.« Sie steckt den Deckel auf den Edding und verlässt den Raum.

    Ich bin wieder alleine und starre auf die Wände. Ich gehe pinkeln. Und während ich meine Hände wasche, schaue ich auf den Spiegel, der ebenfalls total voll gekritzelt ist.
    Und dort, genau in der Mitte des Spiegels über dem Waschbecken, ist ein schlicht gezeichnetes Jungengesicht – starker Kiefer, breiter Mund, große Augen –, und darunter steht in Ninas elegant geschwungener Handschrift:
     
    Cakey s J.
    Ich strecke die Hand aus und berühre den Spiegel. Das Glas ist kühl, aber die Buchstaben fühlen sich unter meiner Hand heiß an.
    Ich renne zurück zu unserem Tisch, wo Sean gerade seinen dritten Eiskaffee leert.
    »Ich habe was gefunden!«
    Ich packe seine Hand und ziehe ihn zu den Toiletten.
    Zuerst schaue ich, ob alle Kabinen leer sind, dann bedeute ich Sean hereinzukommen.
    »Nina hat das gemalt«, sage ich und zeige zu dem Bild auf dem Spiegel. »Jetzt weiß ich also, warum sie gegangen ist.«
    Sean starrt stumm auf das Bild. Offenbar hatte meine Schwester ein zweites Leben, von dem ich nicht das Geringste gewusst habe. Ein anderes Leben und einen völlig anderen Namen dazu. Das ist es also. Sie hat uns für einen Typen verlassen. Jetzt weiß ich es.
    »Verliebte Menschen machen manchmal verrückte Sachen«, sagt Sean leise.
    Ich schüttele den Kopf. »Das ist keine Entschuldigung.«

    Da höre ich, wie sich quietschend die Tür zu den Toiletten öffnet. »Shit«, sagt Sean. Er packt meinen Arm und zieht mich mit einer einzigen schnellen Bewegung in eine Kabine und schließt die Tür hinter uns. Ich kann ihn riechen, den warmen Duft seiner Haut, das salzige Fett auf seinen Lippen. Ich hebe den Kopf. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal einem Gesicht so nahe war. Ich starre auf seine dunklen unteren Wimpern, auf die sanfte Kurve seiner Wangen. Sein Körper strahlt Hitze aus. Ich spüre, wie sein Herz an meinem klopft. Ich fange völlig grundlos an zu kichern und er legt mir die Hand auf den Mund.
    Wir hören Absätze auf dem Fliesenboden klappern. Dann läuft

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