Mount Dragon - Labor des Todes
hausieren zu gehen?« zischte Levine, der nur mit Mühe seine Stimme wiederfand.
Perlstein schnaufte empört. »Sie bestreiten es also immer noch. Das habe ich mir fast gedacht. Wie konnten Sie es wagen, mit Ihren Lügen hausieren zu gehen! Ihr Vater war SS-Offizier und Ihre Mutter eine Verräterin, die Hunderte von Menschen in den Tod geschickt hat. Man kann Sie natürlich nicht verantwortlich für die Sünden Ihrer Eltern machen, aber mit Ihrer Lebenslüge haben Sie das Böse vertuscht und Ihre Arbeit für den Holocaust Memorial Fund zu einer Farce gemacht.
Sie nehmen für sich in Anspruch, schonungslos nach der Wahrheit zu suchen, aber wenn es um Ihre eigene Familie geht, treten Sie ebendiese Wahrheit mit Füßen. Schlimmer noch, Sie haben es zugelassen, daß der Namen Ihres Vaters neben denen unschuldiger Opfer in den Stein der Gedenkstätte von Yad Vashem gemeißelt wurde: der Name von Heinrich Berg, einem SS-Offizier! Das ist eine Beleidigung für alle wahren Märtyrer, und ich werde dafür sorgen, daß die ganze Welt davon erfährt.« Perlsteins Hände zitterten so sehr, daß er sich an seiner Aktentasche festhalten mußte.
Levine hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. »Diese Dokumente sind Fälschungen. Wenn Sie ihnen Glauben schenken, sind Sie ein Dummkopf. Das Ministerium für Staatssicherheit in der ehemaligen DDR war berühmt dafür, daß es meisterhafte Fälscher hatte...«
»Nachdem man mich vor ein paar Tagen mit diesen Dokumenten konfrontiert hat, habe ich die Originale von drei unabhängigen Experten für Nazi-Dokumente überprüfen lassen. An ihrer Echtheit besteht nicht der geringste Zweifel.« Urplötzlich sprang Levine auf. »Raus mit Ihnen!«schrie er. »Sie sind nichts weiter als ein Werkzeug der Neonazis. Hauen Sie ab, und nehmen Sie Ihren Dreck hier mit!« Er trat auf den Historiker zu und hob drohend den Arm.
Als der ältere Mann versuchte, den Ordner zu nehmen, fiel er zu Boden. Ohne ihn aufzuheben, floh er ins Vorzimmer und weiter hinaus auf den Gang. Levine warf die Tür seines Büros hinter ihm zu und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Das Herz schlug ihm bis hinauf in den Hals. Was für eine ungeheuerliche, niederträchtige Lüge! Gott sei Dank würde er sie rasch als solche entlarven können, denn er hatte immer noch die beglaubigten Kopien von den Originaldokumenten, die er seinerzeit in Leipzig gefunden hatte. Nun brauchte er nur noch einen Experten anzuheuern, der die Fälschungen bloßstellte. Auch wenn ihm die Verleumdung seines toten Vaters so weh tat wie ein Stich ins Herz, so war es nicht das erste Mal, daß man ihn mit Schlägen unter der Gürtellinie fertigzumachen versuchte, und es würde bestimmt auch nicht das letzte Mal sein...Levines Blick fiel auf den am Boden liegenden Ordner mit den widerwärtigen Fälschungen, und auf einmal kam ihm ein schrecklicher Verdacht.
Eilends trat er an seinen verschlossenen Aktenschrank, öffnete ihn und nahm einen Ordner heraus, auf dessen Rücken nur ein einziges Wort stand: »Berg«. Der Ordner war leer. »Scopes«, flüsterte Levine. Schon am nächsten Tag brachte der Boston Globe mit einem Unterton tiefen Bedauerns die Geschichte auf der ersten Seite.
Muriel Page, eine freiwillige Helferin im Laden der Heilsarmee in der Pearl Street, betrachtete den jungen Mann mit der Sonnenbrille und der vom Schlaf verdrückten Frisur, der sich eine Reihe von Jacketts durchsah. Es war das zweite Mal, daß er in dieser Woche in den Laden kam, und Muriel tat er leid. Er war kein Drogensüchtiger - dazu war er zu sauber und zu aufgeweckt -, sondern ganz offenbar ein junger Mann, der Pech gehabt hatte. Er hatte ein jungenhaftes, leicht unbeholfen wirkendes Gesicht, das sie ein wenig an ihren eigenen Sohn erinnerte, der längst erwachsen und verheiratet war und in Kalifornien lebte. Aber dieser junge Mann war so dünn. Bestimmt ernährte er sich nicht richtig.
Der junge Mann sah sich die Jacketts in schneller Folge durch, bis er eines davon herauszog, hineinschlüpfte und sich im Spiegel betrachtete. Muriel sah ihm aus den Augenwinkeln dabei zu und bewunderte seinen Geschmack. Er hatte sich ein hübsches Jackett mit schmalen Aufschlägen und einem Muster aus sich überschneidenden Drei- und Vierecken auf schwarzem Grund herausgesucht. Es sah aus, als stamme es aus den frühen fünfziger Jahren. Sehr schick, aber nicht gerade das, was junge Männer heutzutage anzogen. In Muriels Jugend war die Kleidung nun mal sehr viel schicker gewesen als
Weitere Kostenlose Bücher