Mount Dragon - Labor des Todes
Aufschub. Sie setzten sich in den Schatten eines Lavafelsens und sahen schweigend hinunter zu den Gebäuden des Labors, deren elegante, weiße Umrisse in der aufsteigenden Hitze zu zittern und zu verschwimmen begannen. Obwohl er sich dagegen wehrte, konnte Carson spüren, wie etwas in ihm langsam zerbrach. Es war dasselbe Gefühl, das er als Teenager gehabt hatte, als er von einem Tieflader aus hatte mit ansehen müssen, wie die Ranch seines Vaters Stück für Stück versteigert worden war. Bisher hatte er an die Wissenschaft als Hoffnung der Menschheit geglaubt. Jetzt, aus welchem Grund auch immer, drohte sich dieser Glaube in nichts aufzulösen wie die vom Wüstenboden aufsteigenden Hitzeschwaden.
Er räusperte sich und schüttelte den Kopf, als könne er damit die Kette seiner Gedanken unterbrechen. »Wenn Sie dieser Auffassung sind, was wollen Sie dann tun?« fragte er de Vaca. »Ich will so schnell wie möglich weg von hier und der Öffentlichkeit sagen, was in diesem Labor vor sich geht.« Carson schüttelte den Kopf. »Was hier vor sich geht, ist nichts Ungesetzliches, sondern ein von der Arzneimittelbehörde genehmigtes, gentechnisches Forschungsprojekt, das man nicht einfach stoppen kann.«
»Doch, das kann man, und zwar weil jemand ermordet wurde. Etwas stimmt hier nicht, und Teece hat herausgefunden, was es ist.«
Carson sah sie an, wie sie mit dem Rücken am Felsen lehnte. Sie hatte die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen, und der Wind blies ihr das schwarze Haar aus dem Gesicht. Verdammt noch mal, dachte Carson. Jetzt sage ich es ihr. »Ich bin mir nicht sicher, was Teece wußte«, sagte er. »Aber ich weiß, wonach er gesucht hat.«
De Vaca kniff die Augen zusammen. »Was meinen Sie damit?«
»Teece glaubt, daß Franklin Burt ein privates Tagebuch geführt hat. Das hat er mir am Abend vor seiner Abfahrt gesagt. Er sagte auch, daß Vanderwagon und Burt erhöhte Dopamin- und Serotoninspiegel im Blut hatten. Ebenso wie BrandonSmith, aber bei ihr waren sie nicht ganz so hoch.« De Vaca sagte nichts.
»Teece dachte, daß Burts geheimes Tagebuch Aufschluß über den Grund dieser Symptome geben könne«, fügte Carson an. »Er wollte es suchen, sobald er von Radium Springs wieder zurück war.«
De Vaca stand auf. »Nun, was ist? Helfen Sie mir oder nicht?«
»Wobei soll ich Ihnen denn helfen?«
»Bei der Suche nach Burts Tagebuch. Und dabei, das Geheimnis von Mount Dragon zu lüften.«
In letzter Zeit kam Charles Levine immer sehr früh in die Universität, legte Ray einen Zettel mit Instruktionen für den Vormittag auf den Schreibtisch und schloß sich dann in seinem Büro ein. Ray hatte strikte Anweisung, keine Besucher vorzulassen und keine Anrufe durchzustellen. Seine Seminare hatte Levine vorübergehend zwei jüngeren Dozenten übergeben und die Vorlesungen für die nächsten paar Monate gestrichen. Er folgte damit dem letzten Rat, den Toni Wheeler ihm gegeben hatte, bevor sie ihre Stelle als Pressereferentin bei der Stiftung für Verantwortungsbewußte Gentechnologie gekündigt hatte.
Der Druck der Universitätsverwaltung auf Levine hatte zugenommen, und die Mitteilungen, die ihm der Dekan der Fakultät auf dem Anrufbeantworter hinterließ, nahmen einen immer schärferen Ton an. Levine witterte Gefahr und beschloß - ganz gegen seine Gewohnheit für eine Weile auf Tauchstation zu gehen.
Er war ziemlich verblüfft, als er um sieben Uhr früh in sein Büro kam und einen offenbar geduldig wartenden Mann vor der Tür sitzen sah. Instinktiv streckte Levine ihm die Hand zur Begrüßung entgegen, aber der Mann rührte sich nicht und sah ihn mit ernstem Gesicht an.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte Levine. Er schloß die Tür auf und bat den Mann herein. Sein Besucher setzte sich steif auf einen Stuhl und hielt sich an seiner Aktentasche fest. Er hatte buschiges, graues Haar und hohe Backenknochen. Levine schätzte sein Alter auf über siebzig Jahre. »Mein Name ist Jacob Perlstein, Mr. Levine«, sagte er. »Ich bin Historiker bei der Holocaust Research Foundation in Washington.«
»Freut mich«, sagte Levine. »Ich schätze Ihre Arbeit sehr. Sie haben einen ausgezeichneten Ruf.« Perlstein war auf der ganzen Welt für seinen unermüdlichen Eifer bekannt, mit dem er Licht in die Geschichte der Vernichtungslager und Ghettos brachte, in denen die Nazis Millionen von Juden umgebracht hatten. Levine setzte sich und wunderte sich, warum der Mann so eine feindselige Ausstrahlung hatte.
»Ich
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