Mount Dragon - Labor des Todes
haben.«
»Gestern vormittag«, sagte Carson. »Es war sehr interessant.«
»Ja, das ist es in der Tat«, sage Singer. »Aber leider auch ziemlich tragisch. Ich hoffe, es hat Ihnen auch einen Einblick in Burts Persönlichkeit verschafft. Wir standen uns nahe. Nachdem er uns verlassen hat, habe auch ich mir seine Notizen durchgesehen und versucht, mir zusammen zureimen, was mit dem armen Kerl passiert ist.« Carson hörte aufrichtiges Bedauern in Singers Stimme.
Singer trank seinen Kaffee und sah hinaus auf die nächtliche Wüste. »Das hier ist kein normaler Ort, wir sind keine normalen Leute, und das Projekt, an dem wir arbeiten, ist alles andere als ein normales Projekt. Wir haben hier einige der weltweit besten Genforscher versammelt, um an einer Aufgabe von unschätzbarer wissenschaftlicher Bedeutung zu arbeiten. Eigentlich möchte man meinen, daß die Leute hier Wichtigeres im Kopf haben müßten als kleinliche Streitereien. Aber dem ist leider nicht so. Burt allerdings stand über solchen Dingen, und ich hoffe, daß das auch bei Ihnen der Fall sein wird.«
»Ich werde mein Bestes tun«, sagte Carson und dachte an seinen Jähzorn, den er dabei unter Kontrolle halten mußte. Ohne es zu wollen, hatte er sich in seinen wenigen Tagen am Mount Dragon bereits zwei Feinde gemacht.
»Haben Sie schon etwas von Brent gehört?« fragte Singer beiläufig.
Carson zögerte und fragte sich, ob Singer wohl Scopes E-Mail an ihn gelesen hatte. »Ja«, sagte er. »Was hat er gesagt?«
»Er hat mich ermuntert und davor gewarnt, übermütig zu werden.«
»Typisch Brent. Er möchte eben immer alles unter Kontrolle behalten, und X-FLU ist nun mal sein Lieblingsprojekt. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, als gläserner Wissenschaftler zu arbeiten.« Er trank einen Schluck von seinem Kaffee. »Und wie weit sind Sie mit der Eiweißhülle?«
»Ich glaube, ich habe das Problem gelöst.« Singer sah ihn prüfend an. »Wie meinen Sie das?« Carson stand auf und stellte sich neben den Direktor ans Geländer. »Nun, ich habe gestern nachmittag meine eigenen Schlüsse aus Burts Labortagebuch gezogen. Nachdem ich seine Erfolge und Fehlschläge erst einmal vom Rest seiner Aufzeichnungen isoliert hatte, war es viel einfacher, sie wirklich zu bewerten. Bevor er die Hoffnung endgültig aufgegeben hatte, war Dr. Burt der Lösung offenbar schon ganz nahe gewesen. Er hatte bereits die aktiven Rezeptoren gefunden, die das X-FLU-Virus so gefährlich machen, und er hatte auch die Genkombination zur Kodierung der für die Überproduktion der Gehirnflüssigkeit zuständigen Polypeptide gefunden. Damit ist die wichtigste Arbeit eigentlich schon getan. Ich wiederum habe nämlich im Rahmen meiner Doktorarbeit eine neue Rekombinationstechnik für DNA entwickelt, die sich eine ganz bestimmte Wellenlänge von ultraviolettem Licht zunutze macht. Wir müssen also nur die gefährliche Gensequenz mittels eines speziellen Enzyms entfernen, das von dem ultravioletten Licht aktiviert wird. Das ist alles. Die darauf folgenden Generationen des Virus werden vollkommen harmlos sein.«
»Aber noch ist es nicht soweit«, sagte Singer.
»Aber ich habe diese Technik schon über hundertmal angewendet. Natürlich nicht auf dieses Virus, aber auf viele andere. Dr. Burt wußte noch nichts von dieser neuen Technik, er verwendete eine ältere Methode zur Rekombination.«
»Wer weiß von dieser Lösung des Problems?« fragte Singer.
»Bis jetzt niemand. Ich habe mir erst einen ganz groben Arbeitsplan gemacht und noch nicht mit konkreten Versuchen angefangen. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, wieso es nicht funktionieren sollte.«
Der Direktor starrte Carson eine Weile stumm an. Dann nahm er Carsons rechte Hand und drückte sie mit beiden Händen. »Das ist ja phantastisch!« jubelte er. »Herzlichen Glückwunsch!«
Carson trat einen Schritt zurück und lehnte sich ein wenig verlegen ans Geländer.
»Das ist vielleicht noch ein bißchen verfrüht«, sagte er und fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, seinen Optimismus noch eine Weile für sich zu behalten.
Singer hörte ihm gar nicht zu. »Ich muß Brent sofort eine E-Mail schicken und ihm die Neuigkeiten berichten«, sagte er. Carson öffnete den Mund, um zu protestieren, sagte dann aber doch nichts. Einerseits hatte Scopes ihn erst an diesem Nachmittag vor Übermut gewarnt, andererseits wußte er von der Arbeit an seiner Dissertation her ganz genau, daß seine Prozedur funktionieren würde.
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