Mount Dragon - Labor des Todes
GeneDyne in jüngster Zeit gegen Sie angestrengt hat, untergraben nun mal Ihre Glaubwürdigkeit.«
»Also, meine Glaubwürdigkeit untergraben sie bestimmt nicht. Eher schon die der Gegenseite.« Als wäre die Angelegenheit damit für ihn beendet, deutete Levine verstohlen hinüber zu dem schwitzenden Mann. »Jede Wette, daß das Barrold Leighton höchstpersönlich ist?« flüsterte er Toni Wheeler zu. »Der will hier bestimmt Reklame für sein Buch machen. Ist vermutlich sein erster Fernsehauftritt überhaupt. Sieht so aus, als brauchte er heute tatsächlich Mut zum Anderssein. Mir kommt er allerdings nicht gerade wie ein Ausbund an Mut vor.«
»Schweifen Sie nicht vom Thema ab«, sagte Toni Wheeler. »Ihre Glaubwürdigkeit ist wirklich in Gefahr, trotz Ihrer Professur in Harvard und Ihrer Verdienste für den Holocaust Memorial Fund. Wir müssen jetzt auf der Hut sein, den Schaden begrenzen und Ihnen ein neues Image für die Öffentlichkeit aufbauen. Und deshalb bitte ich Sie noch einmal, Charles: Treten Sie nicht in dieser Sendung auf.«
Toni Wheeler hatte noch nicht ausgeredet, da streckte eine Frau den Kopf durch die Tür und sagte mit ausdrucksloser Stimme: »Dr. Levine bitte.«
Levine stand lächelnd auf und winkte seiner Pressereferentin noch einmal zu, bevor er der Frau in die Maske folgte. Schaden begrenzen, dachte er. Was mache ich denn anderes? Er setzte sich auf einen Friseurstuhl und ließ sich von der Maskenbildnerin das Gesicht pudern. Toni Wheeler klang manchmal eher wie der Kapitän eines Unterseeboots und nicht wie eine Pressefrau. Sie war intelligent und wortgewandt, aber sie neigte dazu, der Öffentlichkeit ein viel zu idealisiertes Bild von ihm zu vermitteln. Dabei wollte sie einfach nicht verstehen, daß es nicht Levines Art war, angesichts von Schwierigkeiten vornehme Zurückhaltung zu üben. Jetzt zum Beispiel brauchte er dringend ein Forum, wie diese Talkshow es ihm bot. Seine Enthüllungen über die Katastrophe von Nowo Druschina hatten bei weitem nicht das Presseecho gefunden, das er sich davon erhofft hatte. Der Vorfall war einfach räumlich und zeitlich zu weit entfernt, als daß er zu mehr als ein paar Meldungen in lokalen Blättern gereicht hätte. Bei der Sammy Sanchez Show war das anders. Sie wurde nicht nur hier in Boston, sondern über eine Kette von Stationen im ganzen Land ausgestrahlt. Auch wenn sie nicht so viele Zuschauer hatte wie beispielsweise Geraldo, so war sie für den Anfang schon nicht schlecht. Levine prüfte, ob die beiden mitgebrachten Umschläge sich auch wirklich noch in den Taschen seines Jacketts befanden. Er war gutgelaunt und voller Zuversicht, daß dies ein erfolgreicher Abend für ihn werden würde.
Studio C war ein Talkshowstudio wie viele andere auch. Kulissen mit dunklen, altmodischen Tapeten und schwere Mahagonimöbel sollten ihm den Anstrich eines gediegenen viktorianischen Salons geben und wirkten inmitten eines Gewirrs von Scheinwerfern, Kameras und Kabeln merkwürdig deplaziert. Levine wußte, wer die beiden anderen Talkgäste waren, die bereits im ersten Teil der Sendung miteinander diskutiert hatten: Finley Squires, ein bärbeißiger, mit allen Wassern gewaschener Pressemann der Pharmaindustrie, und die bekannte Verbraucherschützerin Theresa Court. Daß er erst jetzt, im zweiten Talkblock, zu der Runde stieß, sah Levine nicht als Nachteil. Vorsichtig darauf bedacht, nicht über ein Kabel zu stolpern, näherte er sich der Bühne. Sammy Sanchez saß auf einem Drehstuhl hinter einem runden Tisch und zeigte Levine seinen Platz. Dabei grinste er wie ein hungriges Raubtier beim Nahen frischer Beute. Die Werbung war fast zu Ende, und der Countdown für die zweite Hälfte der Show begann. Als sie auf Sendung waren, stellte Sanchez den etwa zwei Millionen Zuschauern zu Hause an den Bildschirmen seinen neuen Talkgast vor und erteilte dann Squires das Wort. Auf dem Monitor in der Maske hatte Levine mitbekommen, wie Squires im ersten Teil der Sendung in höchsten Tönen die Segnungen der Gentechnik gepriesen hatte. Levine, der sich fühlte wie ein Boxer in Topform, der soeben in den Ring gestiegen ist, konnte es kaum erwarten, ihm gehörig über den Mund zu fahren. »Haben Sie ein Kind, das am Tay-Sachs-Syndrom leidet?« fragte Squires die Zuschauer und blickte mit besorgtem Gesicht direkt in die Kamera. »Oder an Sichelzellenanämie oder der Bluterkrankheit?«
Dann deutete er auf Levine, ohne ihn dabei direkt anzublicken. »Dr. Levine hier will Ihnen
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