Mount Dragon - Labor des Todes
mich?«
»Nein, nicht über dich, Andrew. Oder doch. Aber nur ein paar. Du warst ja schließlich - wie soll ich es nennen - irgendwie mittendrin im Geschehen.«
Vanderwagon schob seinen unberührten Teller zur Seite und sagte nichts.
Carson beugte sich zu ihm hinüber. »Ist das wirklich die Thymusdrüse von einem Kalb?«
»Na und? Wen interessiert das schon?« sagte Harper und schob sich eine weitere Gabelvoll in den Mund. »Dieser Ricciolini kann einfach alles kochen. Außerdem haben Sie doch in Ihrer Jugend bestimmt Hammelhoden gegessen.«
»Nein, niemals. So was kriegen bei uns nur die Touristen«, entgegnete Carson.
»Wenn aber dein rechtes Auge dir Anlaß zur Sünde gibt...«, sagte Vanderwagon auf einmal.
Die beiden anderen drehten sich erstaunt in seine Richtung. »Wirst du jetzt auf einmal religiös?« fragte Harper. »Ja«, sagte Vanderwagon und fuhr fort: »...so reiß es aus und wirf es von dir.«
Einen Augenblick lang herrschte betretenes Schweigen. »Sind Sie in Ordnung, Andrew?« fragte Carson. »Ja, natürlich«, antwortete Vanderwagon. »Sag mal, Andrew, haben wir nicht im Biologieunterricht gelernt, daß in der Thymusdrüse irgendwelche Hormone drin sind?«
»Bitte nicht!« flehte Carson.
»Doch, doch, jetzt erinnere ich mich. Thymosin und Thymopetin heißen sie, glaube ich«, fuhr Harper ungerührt fort. Vanderwagon starrte auf seinen Teller, dann nahm er langsam sein Messer zur Hand und schnitt ein Stück Bries in der Mitte durch. Er nahm eine Hälfte davon in die Hand, besah sich eingehend die Schnittstelle, roch daran und ließ den Brocken wieder auf den Teller fallen, so daß Sauce und Pike aufs weiße Tischtuch spritzten. Dann goß er etwas Wasser auf seine Serviette und säuberte sich damit sorgfältig die Hände. »Nein«, sagte er.
»Was meinst du mit nein?«
»Da sind keine Hormone drin.«
Harper kicherte amüsiert vor sich hin. »Sei bloß vorsichtig. Wenn Ricciolini sieht, was du mit seinem Essen machst, dann mischt er dir beim nächsten Mal Gift in den Kartoffelbrei.«
»Was?« sagte Vanderwagon laut. »Ich habe doch nur Spaß gemacht. Beruhige dich.«
»Ich meine nicht dich«, sagte Vanderwagon und deutete auf eine Stelle neben Harper. »Ich rede mit ihm.« Harper und Carson waren still.
»Jawohl, Sir! Zu Befehl, Sir!« Vanderwagon sprang so plötzlich auf, daß er seinen Stuhl umwarf. Er packte die Gabel mit der einen und das Messer mit der anderen Hand und hob die Gabel so, daß die Zinken auf sein Gesicht zeigten. Seine Bewegungen sahen genau abgezirkelt aus, als gehorchten sie unhörbaren Befehlen. Vanderwagon schien einen Bissen von der leeren Gabel nehmen zu wollen.
»Andrew, was hast du denn vor?« fragte Harper mit einem nervösen Kichern. »Was soll man bloß dazu sagen, Carson?« Vanderwagon hob die Gabel noch ein paar Zentimeter höher. »Um Gottes willen, setz dich wieder hin, Andrew«, sagte Harper.
Die Zinken der Gabel in Vanderwagons zitternder Hand kamen seinem Gesicht immer näher.
Als Carson zu ahnen begann, was er damit vorhatte, war es schon zu spät. Ohne mit der Wimper zu zucken, setzte Vanderwagon die Gabel an sein rechtes Auge und drückte sie mit einer langsamen und bestimmten Bewegung hinein. Carson sah voller Grauen, wie die Hornhaut unter den spitzen Zinken nachgab. Dann hörte er ein Geräusch wie von einer zerplatzenden Traube, und eine klare Flüssigkeit spritzte in einem scharfen Strahl über den Tisch. Carson sprang auf, packte Vanderwagons Arm und zog ihn zurück. Die Gabel kam aus dem Auge heraus und fiel mit einem klirrenden Geräusch auf den Boden. Vanderwagon gab ein hohes, winselndes Geheul von sich. Harper sprang auf, um Carson zu helfen, aber Vanderwagon griff ihn mit dem Messer an. Harper fiel zurück in seinen Stuhl und starrte ungläubig auf einen roten Streifen, der sich quer über seine Brust zog und rasch breiter wurde. Vanderwagon wollte noch einmal auf ihn losgehen, aber Carson sprang dazwischen und holte zu einem Magenschwinger aus, aber Vanderwagon drehte sich zur Seite, so daß Carson ihn nur noch an der Hüfte traf. Vanderwagon nutzte das Überraschungsmoment und schlug Carson derart fest an den Kopf, daß dieser rückwärts taumelte und sich dabei verfluchte, weil er den Mann unterschätzt hatte. Als Vanderwagon nachsetzte, zielte Carson besser und verpaßte ihm mit der rechten Faust einen Schlag direkt an die Schläfe. Vanderwagon fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Carson packte die Hand, die immer noch das
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