Mount Maroon
Irgendetwas zog rhythmisch an diesem Seil, das in eine undurchdringliche Wand aus Geröll hineinführte. Mason betätigte den Regler der Außengeräuschübertragung und richtete das Mikrophon auf die enge Durchbruchstelle. Er vernahm ein schwaches Hecheln. Jetzt zog Mason von seiner Seite aus an dem Seil, das offenbar aus Leder war. Die Schnur gab einen Moment nach, wurde aber im nächsten Augenblick wieder straff. Zweifellos war hier ein Mensch in Not, hatte sich verhakt und kam scheinbar nicht mehr los. Mason hob erneut das Visier, nur einen Spalt, wollte dem Mann hinter der Geröllbarriere etwas zurufen, aber die einströmende Hitze veranlasste ihn, es sein zu lassen. Es war ebenso aussichtslos den Versuch zu unternehmen, das aufgestaute Material abzutragen, zu sehr hatten sich die Bestandteile ineinander geschoben. Man konnte nicht einmal hindurch sehen. Er suchte nach einem scharfen Gegenstand, mit dem er das Seil durchtrennen konnte. Damit würde er dem anderen zumindest eine reale Chance geben, der Flammenhölle doch noch zu entkommen. Allmählich wurde die Zeit knapp. Die Notbeleuchtung wurde zusehends schwächer. Mason war fast ausschließlich auf die Helmlampe angewiesen und auch die Hitzeschildanzeige war in den kritischen Bereich gestiegen. Er konnte sich nicht mehr lange aufhalten. Die Lederschnur war fest mit einer stabilen Metallklammer verbunden. Mason griff zu einer Eisenstange und hämmerte damit kräftig auf den seltsamen Metallhaufen ein. Nach wenigen Schlägen sprang die Schelle aus ihrer Verankerung und verschwand an der Schnur gezogen durch die winzige Öffnung. Wer immer da auf der anderen Seite festgesessen hatte, flüchtete nun, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her.
Mason musste einen anderen Weg einschlagen und er musste sich beeilen, denn die Geräusche der Explosionen hatten sich zu einem dauerhaften Grollen verdichtet. Alan Mason rannte um sein Leben. Dutzende Mal drohte er von hinabfallenden Balken erschlagen oder vom Feuer gänzlich eingeschlossen zu werden. Nach einer schier endlosen Zeit hatte sich Alan Mason zum Versorgungsschacht durchgekämpft, der mit schwarzem Rauch angefüllt, aber dennoch begehbar war. Mason hastete ihn entlang. Auf den letzten Metern war die Sauerstoffversorgung ausgefallen. Mason stockte der Atem, er begann zu husten, stolperte aber schließlich ins Freie. Er war in Sicherheit. Hinter ihm stürzte der Tunnel ein.
Vor dem Labor sah er ein gewaltiges Aufgebot an Feuerwehrwagen. Sogar Löschflugzeuge kreisten über der Unglückstelle. Die Männer taten ihr Bestes, um die Flammenhölle einzudämmen. Allerdings befanden sie sich, wie Mason bemerkte, in einem respektvollen Abstand. Nachdem Mason den hallenartigen Vorbau verlassen hatte, liefen Rettungskräfte auf ihn zu. Aus der Nähe betrachtet wirkten ihre Schutzanzüge und Uniformen irgendwie seltsam. Und auch das schwere Gerät war hoffnungslos veraltet. Statt moderner Löschzüge waren Oldtimer im Einsatz. Dann fiel es ihm wieder ein. Er war ins Jahr 1947 gereist. Als er die Einsatzleitung erreicht hatte, nahm er seinen Helm vom Kopf. Glücklicherweise achtete niemand auf seine Ausstattung.
- „Mr. Mason, Gott sei Dank! Wir hatten ehrlich gesagt schon nicht mehr damit gerechnet, dass …“
Eine gigantische Explosion zerriss das Ende des Satzes. Die Gruppe wurde von einer Druckwelle erfasst und gegen einen provisorischen Unterstand geschleudert. Ein Regen aus Erdklumpen und Steinen prasselte nieder. Wer konnte, kroch unter eines der Fahrzeuge. Es war wie ein Vulkanausbruch. Immer wieder kam es zu neuen, gewaltigeren Detonationen. Bald schon war das gesamte Areal erfasst. Wer konnte, flüchtete.
Kaum einer der Beteiligten konnte sich im Nachhinein an das erinnern, was innerhalb der nächsten Stunden geschah: 38 Männer, weil sie es nicht überlebt hatten und die meisten anderen, weil sie unter Schock standen. Erst bei einer zwei Tage später erfolgten Erkundung wurde das gesamte Ausmaß der Katastrophe sichtbar. Vom Mount Maroon Laboratory war rein gar nichts übrig geblieben. Der gesamte Berg war auf einer Strecke von über sechs Kilometern abgesprengt worden. Von den Gebäuden gab es nicht einmal Ruinen und von den Mitarbeitern des Labors hatte einzig und allein Albert Mason überlebt, der seinerseits aber zu keiner Stellungnahme bereit war.
35. TANTE POLLY
Peter tat als schliefe er, aber Ellen wusste, dass er nur so tat.
- „Willst du darüber reden?“
Er öffnete die Augen und sah auf
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