Mozart - Sein Leben und Schaffen
Figaro und Susanne: Kinder des Volkes, mit offenen Augen für alle jene geschlechtlichen und sittlichen Verhältnisse aufgewachsen, die in den vornehmer sich gebenden Kreisen so sorgsam verhüllt werden. Aber gerade, weil sie als Wissende bei aller zuweilen vielleicht derben Auffassung in diesen Dingen keinen Augenblick schwanken in der persönlichen Liebe und Treue füreinander, sind diese beiden geradezu sittlich erhebende Gestalten. Auf die Nebenpersonen, auf das Gesindel drumherum, hat Mozart mit Recht wenig Licht fallen lassen. Kleine Menschen, beschränkt, auch schlecht, aber sie werden nicht karikiert. So sind sie nicht nur möglich, sondern bleiben auch erträglich; man weiß sich mit ihnen abzufinden.
Das Fehlen jeglicher Karikatur ist wohl die glänzendste Eigenschaft dieser Operndichtung. Aber noch mehr. Es fehlt jede bewußte Komik . Alle hier auftretenden Personen handeln in jedem Augenblicke durchaus gemäß ihrer Natur, und da bei der Mehrzahl dieser Menschen der Schwerpunkt ihrer Natur nicht im Verstand, sondern im Gefühl liegt, verliert das ganze Spiel den Charakter des Berechnenden, sondern wird Notwendigkeit infolge der äußeren Verhältnisse, auf Grund des Geschehens. Bloß der Intrigant Basilio ist ein Rechner, und der Richter Curzio ist ein Schuft. Aber sie haben eigentlich mit dem Ganzen wenig zu tun. Figaros Klugheitwird hier nicht, wie im »Barbier von Sevilla«, um Dinge in Bewegung gesetzt, die ihn eigentlich nichts angehen; sie ist nicht ihrer selbst wegen da und feiert darum auch nicht bewußte Triumphe. Diese Klugheit ist Notwehr , mit ihr verteidigt Figaro sein Liebstes . So ist es allen diesen Leuten, die hier auftreten, mit ihrem Empfinden und Handeln in jedem Augenblick voller Ernst. Sie sind mit ihrer ganzen Persönlichkeit bei der Sache. Es liegt in den äußeren Verhältnissen, daß, was so ernst empfunden und ernst getan wird, heiter und komisch wirkt. Und deshalb ist auch die Komik überwunden, und es erblüht die duftende Blume des Humors . Das hat sogar der Italiener Rossini gefühlt, als er bekannte, daß er und seinesgleichen zwar » opere buffe « schreiben könnten, Mozart aber ein Drama giocoso . An Stelle von Komik und Lustigkeit steht die sieghafte Fröhlichkeit des Herzens Mozarts.
Wir dürfen über der Bewunderung Mozarts seinen Textdichter da Ponte nicht vergessen, so sicher dessen Verdienst hauptsächlich darin besteht, daß er es verstand, Mozarts Wünsche und Absichten voll zu erfüllen. Aber das Textbuch zu Figaros Hochzeit stellt einen neuen Typus dar. Es ist bis auf den heutigen Tag der beste komische italienische Operntext geblieben; erst recht vom musikalischen Standpunkte aus. Da Ponte hat es verstanden, das Schauspiel so zu bearbeiten, daß die Musik aufs wesentlichste verknüpft wurde mit der Entwicklung der Handlung. Gewöhnlich ist das Verhältnis in den italienischen Opern so, daß das eigentliche Geschehen im Dialog, also musikalisch als Seccorezitativ abgemacht wird, während das musikalisch Ausgebildete in geschlossenen, rein lyrischen Nummern dazwischen eingefügt wird. Für den Gang der Handlung könnte man diese Musiknummern wegstreichen. Anders in »Figaros Hochzeit«. Hier ergeben sich alle musikalischen Formen aus der Szenenfühlung selbst, Und selbst die rein lyrischen Herzensergüsse sind in der Handlung begründet, sind ihre Höhe- und notwendigen Ruhepunkte, oder führen den Unterstrom der Empfindung weiter. – Aber der Ouvertüre könnte der Untertitel des Werkes »Ein toller Tag« als Überschrift stehen. Toll vor Lustigkeit und Übermut. Leise wallt erst die angeregteStimmung in den Achtelläufen der Streicher auf und ab, bis sie in jauchzender Freude von den Holzbläsern hinausgejubelt wird. Es kommt zum Lärm im Durcheinander des Tutti, dann stürzt sich in zwei raschen, fanfarenartigen Takten, die ankünden mögen, daß das Durcheinander gelöst werden wird, alles wieder ins frohe Gewoge, das in die Seitensatzgruppe mündet: mit schelmischem Gefühl, wie Susanne, kichern die Geigen; überlegen, wie Figaros, klingt der Holzbläser Lachen, in den Bässen bäumt sich des Grafen Anmut auf, bis auch hier alles in froher Schönheit zusammenklingt. Es folgt kein Durchführungssatz, sondern der zweite Teil bringt eine Wiederholung des ersten, dieses Mal auch die Seitensatzgruppe in der Grundtonart, und geht in die Koda, die aus dem Übergangsmaterial zwischen Haupt- und Seitensatz den Stoff zum köstlich dahinjagenden Jubel gewinnt: ein
Weitere Kostenlose Bücher