Mozart - Sein Leben und Schaffen
dichterische Lösung des Don Juan-Problems ist, soweit ich sehe, noch nicht versucht. Vielmehr bildet überall den Kern das Zerschellen dieser rein von irdischen Trieben genährten Gestalt an der Welt des Geistigen und Seelischen. Gibt es so keine Erlösung Don Juans, muß er zugrunde gehen, so braucht er aber doch nicht eigentlich besiegt zu werden. Auch diese Kraft ist ewig, so lange dauernd wenigstens, wie die Erde selber. Mozarts »Don Juan« versinkt in der Hölle, gewiß, aber er ist nicht besiegt. Sich selbst hat er nicht verleugnet. Er wird von Kräften vernichtet, die er nicht anerkennen kann, weil sie für ihn nicht da sind. In diesem Sinne wirkt es dann fast als Symbol, daß er dem Arm der irdischen Gerechtigkeit entgeht, obwohl er für sein Gewissen nur nach der Richtung hin gefehlt hat. Das Göttliche muß eingreifen, um diese Urkraft zu zerstören.
Zwischen jener Stunde, in der dem Jüngling Goethe die Ideeeines Faust blitzgleich aufging, und der Vollendung des Werkes liegt eine Zeit, die fast doppelt so lang ist wie Mozarts ganzes Leben. Einige Wochen, höchstens einige Monate liegen bei Mozart zwischen dem ersten Bekanntwerden mit dem Don Juan-Stoffe und der Vollendung seines Meisterwerkes. Wir dürften uns darum nicht wundern, wenn in Mozarts Schöpfung der geistige Grundgedanke nicht so scharf zum Ausdruck gebracht ist wie in Goethes Faust, auch wenn er selber imstande oder willens gewesen wäre, sich die Dichtung zu seiner Oper selber zu schreiben. Aber ein ähnliches blitzgleiches Erfassen der Weltentiefe des bis dahin nur als interessante Episode behandelten Stoffes muß auch bei Mozart vorhanden gewesen sein. In der Dichtung ist kaum ein Zug, der uns an dieser großen Auffassung hindert, in der Musik nicht eine Note. Selbst nicht jener jetzt glücklicherweise meistens weggelassene Schluß, wo nach Don Juans Untergang jene Menschen, die den Lebenden bekämpften, noch auftreten. Denn sie können ihr Werk ja nicht vollbringen, sie haben gar nichts mehr zu tun, als nach ihrer Art glücklich zu werden, weil jene Kraft, die sie bislang daran verhinderte, ausgeschaltet ist. Zur Sache aber trägt dieses gar nichts bei. Sie sind ja nur zufällig die Opfer der Elementarmacht »Don Juan« geworden; waren sie es nicht, waren es andere. Es ist hier kein Gegenwert, keine Gegenkraft vorhanden. Man könnte sie wohl finden. Es haben andere Dichter den Gedanken benutzt – so auch E. T. A. Hoffmann in seiner genialen Phantasie über Mozarts Werk –, daß Don Juan Donna Anna liebt, und daß er in diesem Falle, wo er einmal wirklich liebt und nicht bloß sich selbstsüchtig auslebt, nicht zum Ziele gelangen kann. Hier offenbart sich eine Don Juan-Tragödie. An ihr ist Mozart vorbeigegangen. Mit jener unvergleichlichen Sicherheit seines genialen Instinktes hat er alles beiseite gelassen – wir sagen vielleicht besser, nichts von alledem aufgenommen – was irgendwie die einfache, klare Elementaranlage und ihr entsprechende gerade Entwicklung Don Juans verwickeln könnte. Eine Bereicherung der Don Juan Geschehnisse ist möglich; eine reinere Gestaltung des Begriffes Don Juan ist nicht denkbar, als Mozart gegeben hat.Wie die deutsche Faustsage an den Buchdrucker Fust, so hing sich die spanische Don Juan-Sage an den geschichtlichen Don Juan Tenorio, den Genossen des Königs Pedro des Grausamen von Castilien (1350–1369). Durch seinen wilden Lebenswandel war er zum Schrecken von Sevilla geworden. Endlich verführte er die Tochter des Gouverneurs der Stadt und stach den ihr zu Hilfe eilenden Vater nieder. Er hatte der Schandtat aber die Spitze gegeben, indem er das dem Ermordeten errichtete Denkmal verhöhnte und das Standbild zu Gaste lud. Da sei das Wunder geschehen, daß der steinerne Gast der Einladung Folge geleistet und Don Juan zur Hölle geschleudert habe. Andere wollten wissen, diese Sage sei nur von den Franziskanermönchen jenes Klosters ausgestreut worden, in dessen Kirche die Statue des ermordeten Gouverneurs aufgestellt worden war. Hierher habe man Don Juan, dem man wegen seiner Stellung bei Hofe mit den gewöhnlichen Rechtsmitteln nicht beikommen konnte, unter dem Vorwand eines verliebten Stelldicheins gelockt und ermordet.
In Sevilla, das er 1625 besuchte, soll der Madrider Ordensbruder Gabriel Tellez am Grabe des Komturs den Gedanken erhalten haben, die Don Juan-Sage dramatisch zu bearbeiten. » El Burlador de Sevilla y Convidado de Piedra «, zuerst gedruckt 1634, ist an sich keines der besten
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