Mozart - Sein Leben und Schaffen
immer in ihren Dienst zu nehmen. Keine Kunst dient lieber als die Musik. Weil keine inniger mit dem Leben verwachsen kann, weil bei keiner die Wirkung so sehr mit dem Herauswachsen aus dem Leben verknüpft ist wie bei der Musik. Aber natürlich muß man das »Dienen« recht verstehen. Es heißt die Gelegenheit empfangen, heißt die Gesetze der äußeren Verfassung, nicht aber die Gesetze des inneren Seins überkommen. Die Musik empfängt, wenn sie sich mit der Kirche verbindet, von ihr die Gesetze des äußeren Seins; das heißt sie wächst aus kirchlichen Gelegenheiten heraus, sie wirkt im Gottesdienste mit. Da es sich im wesentlichen um Gesangsmusik handelt, empfängt sie von der Kirche die Texte. Die Kirche gibt natürlich ihrer Musik auch den Inhalt. Sie tut das ja schon mit den Texten. Es wäre eine Unwahrhaftigkeit, wenn ein Nichtgläubiger, ein nicht kirchlich gesinnter Mensch Kirchenmusik schriebe. Aber wie sich dem Musiker sein Kirchentum, sein kirchliches Fühlen ausspricht, darüber kann er nur von seinem Inneren die Gesetze erhalten. Wir sehen, der Kampf, in den der Künstler mit der Kirche geraten kann, liegt in der Behauptung der Subjektivität. In der Kunst ist für uns, wie es Goethe aussprach, Persönlichkeit alles. Die Frage spitzt sich also dahin zu: Hat die Kirche Raum für künstlerische Persönlichkeiten? Die Antwort lautet: Sie hat ihn so lange gehabt, als sie sich selber identisch wußte mit dem Begriff Religion. Wir haben von Michelangelo, der sich gelegentlich auch schon vor diesem Konflikt sah, das herrliche Wort: »Alle wahre Malerei ist edel und fromm durch den Geist, in dem sie arbeitet; denn nichts erhebt die Seele des Einsichtigen mehr und zieht sie mehr zur Frömmigkeit, als die Mühe, etwas Vollendetes zu schaffen. Gott aber ist die Vollendung, und wer dieser nachstrebt, strebt dem Göttlichen nach.«So war das natürliche Verhältnis für den Künstler, der in früherer Zeit für die Kirche schuf, daß er das Beste gab, was er zu geben hatte. Erst wenn die Kirche eingesteht, daß man religiöse Kunst schaffen kann, die nicht kirchlich ist, kann sich ein Zwiespalt erheben. Erst dann wird kirchliche Kunst geradezu zu einer Stil- , einer Formfrage . Man kann auch diesem Standpunkte seine Berechtigung nicht absprechen. Kirche bedeutet Gemeinschaft; ihr Gottesdienst ist die Bekundung des religiösen Fühlens dieser Gemeinschaft. Darüber läßt sich logisch die Forderung rechtfertigen, daß die Ausdrucksform dieses Gottesdienstes etwas allgemein Gültiges habe. Aus diesem Grunde fände ich es begreiflich, wenn man zur Kirchenmusik eine Kunst erkürte, die nicht mehr subjektiver Ausdruck ist. Die Kirche hat das selber sehr wohl gefühlt und durch alle Zeiten dem gregorianischen Choral, der schon früh aus dem lebendigen Gefühlsausdruck entschwunden war, den Vorzug gegeben. Geschichtlich war allerdings dieser Choral in seinen Anfängen eine höchst subjektive Gefühlsaussprache. Zweifellos war sodann die kontrapunktische Polyphonie, in der die Einzelstimme nichts ist, wo erst durch das Zusammenwirken mehrerer gleichberechtigter Einzelkräfte das Kunstwerk entsteht, so daß also dieses Ausdruck ist einer Gesamtheit und nur möglich wird durch das Zusammenwirken dieser Gesamtheit, der sinngemäße Stil für den Gefühlsausdruck einer solchen Gesamtheit. Also dieser Standpunkt der Kirche läßt sich rechtfertigen. Aber er schließt in sich den Verzicht auf die Mitwirkung der neueren Musik . Seit dreihundert Jahren ist die Musik Ausdruck subjektiven Empfindens, seitdem beruht die Musik auf der Melodie, und wenn die Musik heute das Empfinden einer Gesamtheit ausdrücken soll, so kann sie es bezeichnenderweise nur durch eine einstimmige Melodie.
Ein Blick auf den dick angeschwollenen Cäcilienvereinskatalog zeigt, daß man auch in neuerer Zeit zu diesem Verzicht auf eigenes Schaffen in der Kirchenmusik nicht entschlossen ist. Die Untersuchung der Kompositionen aber ergibt das traurige Ergebnis, daß auch zweifellos stark veranlagte Komponisten unter diesem Zwang entweder dem Epigonentum verfallen oder an dem inneren Widerspruch zwischenmodernem musikalischen Hören und dem Charakter der zumeist dem Choral entnommenen Grundmotive scheitern. Immerhin ist die Hoffnung nicht ausgeschlossen, daß gerade aus der Neubelebung der Kontrapunktik, wie sie in die moderne Musik zunächst auf einem mehr geistigen Wege eingedrungen ist, vielleicht auch wieder eine gesunde Erneuerung der katholischen
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