Mozart - Sein Leben und Schaffen
bedeuten, es blieb bereits eine nationale Tat, daß Sänger und Orchestermitglieder durchweg Deutsche waren. Auch die Oper verfügte über erlesene Kräfte. Der weltberühmte Tenorist Anton Raaff (1714–97) war zwar über die Blütezeit seiner Stimme hinaus, bot aber noch immer das vollendetste Beispiel italienischen Schöngesangs. Von den weiblichen Mitgliedern war das bekannteste, Franziska Danzi, während Mozarts Anwesenheit auf Urlaub. Am so engeren Verkehr gewann er mit Dorothea Wendlina, die nach Wielands Urteil selbst die Mara übertraf, und ihrer Schwägerin Elisabeth Wendling.
Dem Ansehen der Kunst entsprach auch die Stellung der Künstler. Überhaupt war das gesellschaftliche Leben hier auf einen anderen Ton eingestimmt als in Salzburg. Die Morgenluft der deutschen Sturm- und Drangliteratur wehte den Rhein entlang, und von Frankreich drang die freiere Gesinnung und die frische Stimmung der Vorrevolutionsperiode herüber. Besonders war hier das Selbstbewußtsein des Künstlers, der in Deutschland vor allen anderen Träger des Freiheitsgedankens und des Bewußtseins der Menschenrechte war, lebhaft geweckt. Hier mutete man ihm nicht mehr eine Lakaienstellung zu wie in Salzburg. Die Mannheimer Musiker waren gut bezahlt und lebten in angesehener sozialer Stellung. Die Lebensführung war frei. Mit offenen Händen spendete man, was manscheinbar mühelos gewann. Die Gastfreundschaft stand in höchster Blüte, und wie an den künstlerischen, ließ man auch an den materiellen Genüssen gern jeden teilnehmen, der für ein solches Leben Verständnis mitbrachte. Freilich war diese Lebensführung reichlich locker, und das Treiben bei Hofe unterstützte die laxe Moralanschauung, die über die Künstlerkreise hinaus auch das Bürgertum erfaßt hatte. Aber für eine so reine Seele wie Mozarts barg das kaum eine Gefahr in sich. Die Kunst besaß so sein ganzes Sein, daß nur auf dem Wege über sie der Zugang zu seinem Kerzen möglich war. Da konnte es ja freilich zu einer Verirrung kommen, zu kurzer Ablenkung vom großen Lebensziel; aber etwas wirklich Unmoralisches, etwas Niedriges kam nicht an ihn heran. So hatte er von diesen Lebensverhältnissen, die er übrigens, was die leichte Moral betraf, von Kindheit an in Salzburg gewohnt war, nur das Gute eines ausgiebigen Genusses im freien Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht. Wolfgang war leicht empfänglich für Frauenschönheit und bekündete einen guten Geschmack. Aber der bald Zweiundzwanzigjährige, der dem Vater feierlich die Mitteilung von dem wichtigen Ereignis machte, daß ihm jetzt zum erstenmal der Bart habe geschnitten werden müssen, kam auch hier über eine harmlose Unterhaltung nicht hinaus. Die dreizehnjährige, frühreife und künstlerisch reich veranlagte Rosa Cannabich erschien auch ihm als ein »sehr schönes, artiges Mädel«, deren Anmut ihn so begeisterte, daß er das Andante einer ihr gewidmeten Sonate ganz in ihrer Art schuf. »Amoroso«, gewiß, aber doch mehr süßes Getändel, jedenfalls nicht von aufgewühlter Leidenschaft. Gerade weil die Briefe an das Augsburger Bäschen so manche Derbheit, ja Anzüglichkeit enthalten, ist es gut zu sehen, daß Mozarts geschlechtliche Sinnlichkeit noch kaum erregt war. Auguste Wendling, eine große Künstlerin des Gesanges, war von Wieland einer Madonna Raffaels oder Dolces so ähnlich gefunden worden, »daß man sich kaum erwehren könne, ihr ein Salve Regina zu adressieren«, und Heinse verglich sie einer hundertblättrigen Rose. Als unser Wolfgang sie, die als ehemalige Mätresse des Kurfürsten doch gewiß auch die Reize der Pikanterie spielen ließ, zum Lohne für sein wunderbaresImprovisieren küssen sollte, meinte er, es sei ihm gar nicht schwer gefallen, »denn sie ist gar kein Hund«. Also eigentlich der Ton derb-gesunder Flegeljahre. Bald sollte es freilich in dieser Hinsicht ganz anders werden. Aber zunächst sehen wir auch sonst – und wenigstens mich freut das nach dem anstrengenden Bildungsgange in der Jugendzeit – etwas wie freies Burschentum in ihm sich regen mit lachender Unbekümmertheit, zuversichtlicher Lebensfülle und auch vollem Verständnis für den Reiz des Unsinns. Zeugnis dafür sei die Beichte, die Wolfgang seinem Vater am 14. November 1777 ablegte: »Ich Johannes Chrisostomus Amadeus Wolfgangus Sigismundus Mozart gebe mich schuldig, daß ich vorgestern und gestern (auch schon öfters) erst bei der Nacht um 12 Ahr nach Haus gekommen bin, und daß ich von 10 Uhr an bis zur
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