Mozarts letzte Arie
Unterschrieben von Prinz Karl Lichnowsky, darunter zwei Dreiecke. Constanze hatte Lichnowsky als einen von Wolfgangs Logenbrüdern erwähnt. Hier fand sich der Beweis in der Handschrift des Prinzen persönlich.
Ich hätte das Buch gern weiter inspiziert, hörte jedoch, wieStadler zurückkam. Ich legte das Konzertmanuskript wieder auf das Buch und tat so, als läse ich die Noten.
«Ein kleiner Branntwein, um uns beide zu stärken, Madame.» Stadler erschien mit zwei Bechergläsern.
Mir fiel ein, dass ich das Gästebuch nicht zu der Seite mit Wolfgangs Eintrag zurückgeblättert hatte. Ich hoffte, Stadler würde es nicht bemerken.
Mein Puls schlug schneller. Die sonderbaren Zeichen im Gästebuch. Die Angst, meine Schnüffelei könnte entdeckt werden. Ich nahm das Branntweinglas und trank.
«Der verhilft Ihnen jedenfalls wieder zu mehr Gesichtsfarbe.» Stadler lachte.
Ich errötete und legte eine Hand auf den Schreibtisch. «Ich habe mich an diesem Klarinettenkonzert erfreut, Herr Stadler. Es ist wunderbar.»
«Ich habe es vor knapp zwei Monaten in Prag erstmals gespielt. Ein großer Erfolg. Damals hätte ich mir nicht vorstellen können …» Stadler griff zu den Noten. Er zögerte.
Sein Blick fiel auf das Gästebuch. Ich war mir sicher, dass er merkte, dass die Seiten umgeblättert worden waren. Er summte das Eröffnungsthema des Konzerts. «Hätte mir damals nie vorstellen können, was für eine Katastrophe Wolfgangs Tod bedeuten würde.»
Er legte das Manuskript auf den Schreibtisch zurück. «Genug davon. Uns erwarten keine Katastrophen mehr. Schließlich habe ich Sie jetzt spielen gehört. Das Konzert heute Abend wird ein Triumph. Meinen Sie nicht auch?»
«Ich bin mir dessen sicher, mein Herr.»
Als ich den Judenplatz überquerte, warf ich unter der Kapuze meines Mantels hervor einen Blick zurück. Stadler stand am Fenster. Er rieb sich mit den Handgelenken die Augen. Als er mich sah, verbeugte er sich und zog sich aus dem Licht zurück.
8
Als das Nachmittagslicht über der Rauhensteingasse verdämmerte, hielt ich mit meinen Proben an Wolfgangs Klavier inne und lauschte dem Gesang meiner Schwägerin im Nebenzimmer. Eine von meinem Bruder komponierte Arie über den Liebeskummer. Während seiner Verlobungszeit hatte er sie für eine Figur in der Oper, die den Namen seiner zukünftigen Frau trug, geschrieben. Nun probte sie die Arie für das Konzert in der Akademie, das Spenden für die Familie, die ihren Ernährer verloren hatte, erbringen sollte.
«Kummer wohnt in meiner Brust», sang sie. Ihre aufsteigenden Triller ließen mich nach dem Schal greifen, in den ich meinen Oberkörper gehüllt hatte. Ihre Gesangstechnik war außerordentlich, aber es war nicht nur die gute Atembeherrschung, die Wolfgang dazu inspiriert hatte, ihr solche Musik auf den Leib zu schreiben.
Bei der einzigen Gelegenheit, zu der Wolfgang sie mit nach Salzburg gebracht hatte, war ich ihr gegenüber kühl gewesen. Dafür hätte ich meinen Vater verantwortlich machen können, weil er sie als schlechte Partie für seinen einzigen Sohn ansah. In Wahrheit war ich jedoch eifersüchtig auf ihre Liebe und Zweisamkeit – Dinge, die mir versagt geblieben waren. Jetzt begriff ich, dass mir ihr Talent als Sängerin entgangen war. Vielleicht war das auch noch nicht alles, was mir bislang an ihr entgangen war.
Sie kam an die Tür, den kleinen Karl hinter sich an den Rockschößen. Ihrem Lächeln war ein Hauch Besorgnis beigemischt,die mich daran erinnerte, dass wir sehr bald auftreten mussten. «Die Kutsche wird gleich bereitstehen», sagte sie.
Wir passierten die enge Bäckerstraße in Richtung Universitätsplatz. Unsere Kutsche holperte über das Pflaster, und Constanzes schmale Schulter stieß gegen meine.
«Erzähl mir etwas vom Leben in St. Gilgen, Schwester.» Sie blickte zu den vorbeiziehenden Häusern, als suchte sie etwas in den Höfen hinter den Torbögen der Eingänge. «Ist es friedlich da oben in den Bergen?»
Ich fragte mich, ob es in Wien etwas gab, dem sie entkommen wollte. Vielleicht nur der schmerzlichen Erinnerung an den Tod ihres Mannes.
«Im Haus leben sieben Kinder. Meine fünf Stiefkinder sind recht ungezogen», sagte ich. «Die Jungen sind kleine Lügner, und mein Mann weigert sich, sie zu disziplinieren. Das älteste Mädchen weiß mit ihrem Lernstoff nichts anzufangen. Mein Zuhause ist auch nicht friedlicher als der Graben zu der Stunde, in der alle reichen Wiener dort promenieren.»
«Aber es muss schön
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