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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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sein, so viele Kinder um sich zu haben.»
    «Den Kindern meines Mannes aus seiner ersten Ehe mangelt es an Aufmerksamkeit. Ich habe versucht, der Zwölfjährigen Klavierunterricht zu geben, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie putzt sich nicht die Zähne oder isst nichts, wenn sie es eigentlich sollte. Sie läuft nur kreischend durchs Haus. Das ist alles so regellos. Mein Gatte ist ein guter Mensch, interessiert sich aber nicht für die Erziehung seiner Kinder – was für mich höchste Priorität hat, aber natürlich nur von beiden Eltern sachkundig gemeistert werden kann.»
    Sie murmelte etwas in ihre Hände, aber im Hufschlag auf dem Pflaster war es nicht zu verstehen.
    «Wie bitte?», sagte ich.
    Constanze blickte mich aus ihren schwarzen Augen mitentsetzlich ausdrucksloser Direktheit an. «Ich sagte, du klingst wie dein Vater.» Sie sah wieder aus dem Fenster.
    Ich liebte meinen Vater und hielt ihn für eine warme Person, hoffte jedoch, selbst eine nachsichtigere Erzieherin zu sein. Ich begriff, dass Constanze durch seine Ablehnung der Hochzeit verletzt worden war, und beschloss, mich nicht mit ihr über Papas wahren Charakter zu streiten. Lieber konzentrierte ich mich auf meinen Auftritt. Unter meinem Pelzmantel ließ ich meine Finger durch das Allegro gleiten, mit dem das Konzert in C-Dur beginnt.
    Unser Kutscher bog auf den Platz unterhalb der strengen Türme der Jesuitenkirche ein, in der mein Vater einst Wolfgangs Dominicus-Messe dirigiert hatte. Wir fuhren an der Fassade der Akademie der Wissenschaften vor.
    Licht aus den hohen Fenstern der oberen Etage ließ die korinthischen Säulen in einem satten Cremeton erstrahlen. Wo die Lichter am hellsten leuchteten, befand sich der Saal. Er erstreckte sich über mehrere Fenster und würde gewiss einer großen Menge Platz bieten. Mein Atem ging schnell, aber nicht aus Nervosität, sondern aus Vorfreude, noch einmal vor einem solchen Publikum spielen zu dürfen.
    Constanze, die durch die Fahrt in der zugigen Kutsche ganz durchgefroren war, stampfte mit den Füßen auf den Boden. Sie deutete mit einer Neigung des Kopfes zum Eingang und nahm meinen Arm.
    Drinnen blieben wir vor den glatten Stufen und weiß getünchten Wänden des Treppenhauses stehen. Constanze starrte die Stufen hinauf, als wären sie zu steil für sie.
    «Ich habe noch nie seine Musik gesungen, wenn er nicht dabei war, um zu applaudieren», flüsterte sie.
    Mit ihrer kleinen Hand krallte sie sich an meinem Oberarm fest. «Du hast bestimmt nicht nur wegen
seines
Beifalls gesungen», sagte ich.
    Im milden Flackern der Treppenbeleuchtung überschwemmten Tränen ihre schwarzen Augen. Wir gingen hinauf.
    Als wir den ersten Absatz erreichten, sah ich am oberen Ende der Treppe Stadler. Er umkreiste einen Mann von adliger Haltung, der sein Kinn so hoch hielt, dass es so aussah, als untersuchte er Stadlers kurz geschnittenes Haar, obwohl er ihn ansonsten zu ignorieren schien. Beide Männer schauten mürrisch und düster drein. Ich nahm an, dass das nicht von ungefähr kam. Schließlich handelte es sich um ein Benefizkonzert zu Gunsten der verarmten Familie eines Toten.
    Raschelnde Röcke holten uns ein. «Stanzerl, meine Liebste, warte.»
    Eine kleine Frau mit rundem Gesicht und von der Kälte geröteten Wangen, den Körper bis zum Hals in Pelz gehüllt, trat an unsere Seite. An der Ähnlichkeit der großen schwarzen Augen erkannte ich, dass es eine von Constanzes Schwestern war, und wegen des vollen Klangs ihrer Stimme hielt ich sie für Josefa, die in der Wiener Premiere von Wolfgangs
Don Giovanni
als Sopranistin mitgewirkt hatte. Sie küsste Constanze und legte dann ihre Wange an meine. Sie berührte mich an der Schulter und sah mich traurig an.
    «Meine Liebe, meine arme, arme Liebe», sagte sie. «Wir müssen es ertragen. Wir müssen es einfach.» Sie schüttelte den Kopf und ging uns mit einem dramatischen Seufzer auf der Treppe voran.
    Constanze zog eine Augenbraue hoch.
    Ihre Schwester erreichte die Herren am Ende der Treppe, reichte ihnen die Hand zum Kuss und verströmte dabei demonstrativ die emotionale Erschöpfung einer Untröstlichen.
    Stadler verneigte sich vor Constanze und ergriff ihre Hand. Als er sie küsste, schimmerte ihre Haut bleich vor seinem geröteten Gesicht. Er warf dem Mann neben sich einen nervösen,entschuldigenden Blick zu, bevor er meine Hand ergriff, um mich vorzustellen. «Der Prinz Lichnowsky», sagte er und verbeugte sich noch einmal.
    Einer der Männer, die

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