Mr. Benson
alles, wozu ich Lust hatte. Es gab keine Vorschriften, keine Tabus. Ich bekam richtig Panik. Solche Entscheidungsgewalt hatte ich seit Wochen nicht mehr gehabt!
Ich brauchte eine Bleibe. Mein Leben mit Mr. Benson hatte mich seelisch und körperlich dermaßen vereinnahmt, dass ich kaum bemerkte, wie die Passanten gafften. Ein Mann, von Kopf bis Fuß in schwarzem Leder, war kein alltäglicher Anblick. Wo konnte ich mich so einquartieren? Scheiß drauf! Wenn man schon mit einer Stange Geld in den Taschen aus seinem neuen Zuhause verbannt wurde, dann musste man es auch genießen! Ich würde mich in einem Hotel einquartieren, einem guten Hotel! Aber nicht mit diesen Klamotten.
Ich überlegte einen Moment. Dann stürmte ich in die Seventh Avenue, wo die Leder-Shops hoffentlich noch aufhatten.
Glück gehabt! Der Laden konnte mit dem Gewünschten dienen: einem beigefarbenen Uniformhemd und einer schwarzen Lederkrawatte. Ich zog die beiden Sachen gleich an, während ich zahlte. Dass ich so immer noch in schwerer Montur war, machten mir die neugierigen Blicke des Bürovolks bewusst; aber immerhin würde ich jetzt an einigen Portiers vorbeikommen. Hoffentlich.
Ich hatte es so eilig gehabt, meine Einkäufe noch vor Feierabend zu erledigen, dass ich die anderen Leute im Laden überhaupt nicht beachtete. Und so wenig wie möglich den Verkäufer.
»Steht dir gut, Junge.« Er besaß eine tiefe Stimme, mit leicht italienischem Akzent. Italienisch? Ich sah vom Spiegel auf und drehte mich um. Was für ein Prachtkerl! Tiefe schwarze Augen, volles schwarzes Haar, Drei- bis Fünftagebart, dazu ein dicker Schnauzer, der ihm bis über die Unterlippe hing, und die Ärmel seines roten Flanellhemds waren aufgekrempelt, sodass dicht behaarte, muskelbepackte Unterarme zum Vorschein kamen. Ich sah auf seine ausgewaschene Jeans. Eine imposante Beule wurde von einem Paar knallenger Chaps nur noch mehr betont, und ein dicker Schlüsselbund auf der linken Seite verriet, was es mit dieser Beule für eine Bewandtnis hatte.
Es traf mich fast wie ein Blitz. Ich steckte bis über beide Ohren in meiner Beziehung zu Mr. Benson; deshalb war ich einfach nicht darauf gefasst, dass die Möglichkeit zu Sex mit jemand anderem bestand. Nun, hatte ich Lust? Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Rasch antwortete ich »Danke«, nur um Zeit zu gewinnen, erntete aber einen tiefen, eindringlichen Blick. Die Augen des Verkäufers wanderten an meinem Körper hinab. »In ’ner halben Stunde ist Feierabend. Hast du Lust auf ’nen gemeinsamen Drink?«
»Klar«, stotterte ich achselzuckend.
Er nannte mir die nächstgelegene Lederbar. Hoffentlich würde dieser Typ ein größerer Erfolg als Larry mit seinem hervorblitzenden Jockstrap und seinen »Kumpel«-Phantasien!
In dem wohlbekannten Lokal holte ich mir etwas zu trinken und stellte mich an die Wand. Wie froh ich war, dass ich nicht mehr in diese Szene zu gehen brauchte! Auch insofern hatte sich mein Leben mit Mr. Benson als bedeutungsvoll erwiesen. Nur suchte heute Abend ja nicht ich den Sex. Nach fast zweimonatiger Abwesenheit gefiel es mir hier, selbst so früh am Abend. Es war richtig amüsant, die Typen zu beobachten, wie sie sich alle umkreisten und anmachten.
Vor meiner Bekanntschaft mit Mr. Benson war auch ich ein Anmacher gewesen, aber ich wusste, dass hinter meiner Koketterie ein Gefühl der Unterlegenheit steckte. Jetzt, nach der Bestätigung durch Mr. Benson, mit meinem kahl rasierten Schritt in der knallengen Lederjeans und mit der Aussicht auf einen geilen Hengst, hatte ich mehr Selbstsicherheit. Und wenn ich Mr. Benson gefiel, reichte das vollauf. Die nackte Haut, die sich unter der kühlen Oberfläche des Leders bewegte, machte mir meine Geschlechtlichkeit stärker bewusst denn je.
Etwas kam mir aber bekannt vor: Genau wie damals, als ich im ›Mineshaft‹ so lange auf Mr. Benson warten musste, beschäftigte mich nun der vorausliegende Reiz. Was dieser Typ wohl in der Hose hatte? Wie sähe sein Schwanz aus? War er beschnitten? War er unbeschnitten (eine lange, schlaffe Vorhaut)? War sein Arsch genauso behaart wie seine Brust? Was würde er von mir verlangen?
Immer mehr dachte ich über diesen Mann nach und immer weniger an Mr. Benson. Ich erschrak, als mir das plötzlich klar wurde. Irgendwie hatte ich das Gefühl, zu versagen – Mr. Bensons Erwartungen zu enttäuschen. Wie konnte ich ihn so leicht vergessen!
Mit dem Erscheinen des Verkäufers verflogen meine Grübeleien. Da war er – in
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