Mr. Darcy bleibt zum Fruehstueck
Geständnis: meine berühmte Lasagne? Alles Nana und Ann, nichts von Kate. Auch wenn ich dabei helfe, alles in die Form zu schichten. Iris und ich waren einfach keine Köchinnen, es war das Einzige, was wir gemeinsam hatten. Ann war davon überzeugt, vom Verkauf ihrer Soßen leben zu können, aber bisher hatten erst wenige Freunde Geld dafür bezahlt. Meine Mutter war allerdings kein Fan.
»Nein, danke«, sagte Iris bestimmt.
Ich zuckte mit den Schultern und stellte die Flasche weg. Dann fiel mir auf, dass meine Großmutter ihr Abendessen kaum angerührt hatte – ein Rest Brathähnchen und Gemüse. Das Essen hatte Ann am Abend vorher vorbeigebracht.
»Warum isst du nichts?«, fragte ich.
»Mein Mund tut immer noch weh«, antwortete sie ruhig. Nana war nie krank gewesen, aber seit einem Monat hatte sie Kieferschmerzen und Probleme beim Essen. Sie hatte schließlich zugestimmt, zum Arzt zu gehen, und hatte heute einen Termin gehabt. Durch das Drama bei Haute hatte ich das ganz vergessen.
»Was hat Dr. James gesagt?«, fragte ich und bemühte mich, nicht zu besorgt zu klingen.
»Er weiß es nicht«, antwortete sie müde. »Er schickt mich zu einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt.«
»Einem HNO-Arzt? Ist es denn etwas Ernstes?«, fragte ich und spürte, wie sich mein Magen zusammenzog.
»Nur die Guten sterben jung«, grinste sie.
Ich lächelte matt.
»Wir haben nächsten Montag einen Termin«, sagte Iris.
»Ich komme mit«, sagte ich entschieden.
Nana stand auf und stellte ihren Teller in die Spülmaschine. Während sie hinüberschlurfte, wegen der Arthritis hatte sie einen leichten Rundrücken, sah ich, wie dünn sie geworden war, zu dünn. Warum war mir nicht schon früher aufgefallen, wie zerbrechlich sie war? Und während ich sie beobachtete, wie sie langsam zum Sofa ging, um Jeopardy zu sehen, traf mich wieder die Einsicht, dass ich vierzig wurde. Meine Großmutter war mehr als doppelt so alt. Ob sie sich wohl als glücklich beschreiben würde? War das Leben so verlaufen, wie sie es sich gewünscht hatte? Es war Jahrzehnte her, seit sie eine realistische Chance gehabt hatte, sich ein anderes Leben zu wünschen. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es sein musste, wenn man durch das Alter gezwungen war, seine Träume aufzugeben. Wahrscheinlich ersetzte zufriedene Einkehr eifrigen Ehrgeiz. Plötzlich spürte ich einen bohrenden Zweifel, ob mein Leben anders verlaufen würde, und mir kam in den Sinn, dass ich es vielleicht zu nichts anderem brachte als zu einer provisorischen Beautyredakteurin, und selbst das war ich nicht mehr.
»Ich bin weg«, verkündete Iris und riss mich aus meinen finsteren Gedanken. Es gab nur einen Ort, an den meine Mutter an einem Werktagabend ging: in die Bingohalle.
»Nicht schon wieder?«, sagte ich, obwohl es mir eigentlich egal war. Es war ihr Geld. Wenn sie es dafür ausgeben wollte, auf einem Klappstuhl zu sitzen, Sprite zu trinken und Doritos zu knabbern und darauf zu warten, dass jemand »N35« brüllte, dann war es eben so.
»Wartet nicht auf mich«, sagte sie zickig.
Um halb elf war ich bettreif. Ich ging durch den Flur zu meinem Schlafzimmer, und wie üblich saß meine Großmutter in ihrem Bett, ihre Brille noch auf der Nase, das Buch an die Brust gedrückt, und schnarchte leise. Ich schlich auf Zehenspitzen in ihr Zimmer, nahm ihr sanft die Brille ab und das Buch aus den Händen.
»Gute Nacht«, flüsterte ich. Sie bewegte sich leicht, machte aber die Augen nicht auf, sondern rollte sich zur Seite und antwortete schläfrig: »Gute Nacht, Liebes.« Ich schaltete die Nachttischlampe aus und küsste sie auf die Stirn.
Ich ging weiter durch den Flur in mein Zimmer. Als ich klein war, stellte ich mir vor, ich würde in einem großen Anwesen leben. Am Wochenende fuhr Nana mit uns durch grüne Viertel, die wir uns nie leisten konnten. Wir zeigten auf Häuser, in denen wir wohnen wollten, und ich hatte Tagträume darüber, eines Tages so reich zu sein, dass ich mir eines kaufen konnte.
Auch wenn unser Haus kein großes Anwesen war, war es ein Zuhause. Und auch wenn mein Zimmer das kleinste war, liebte ich es. Das Fenster ging hinaus auf den Garten. Die Häuser neben uns und auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurden von einer großen Blaufichte und einem Holzapfelbaum verdeckt, so dass ich mir einbilden konnte, auf dem Land zu sein. Mein Bett war ein Mahagonihimmelbett mit einem riesigen Federbett und den teuersten Laken, die ich mir leisten konnte. Die Einrichtung wurde
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