Mr. K: Thriller (German Edition)
ein bisschen länger als vierundzwanzig Stunden und dreißig Minuten.«
Er hatte damit nicht den Tod eines Kindes gemeint, sondern ein Kind, das außer Landes ging. Und dieses Kind war er selbst.
»Kann ich kurz reinkommen, Miss Dalton?«
Sie nickte. Mir war immer noch nicht klar, warum Dalton mit mir Katz und Maus gespielt hatte. Nur so zum Spaß? Um mir zu zeigen, dass er schlauer war als ich? Sämtliche Bücher in seiner Wohnung legten die Vermutung nahe, dass ihn wahre Kriminalfälle faszinierten. Vielleicht wollte er die berühmte Polizistin, von der er gelesen hatte, an der Nase herumführen.
Was war dann mit all diesen Anspielungen und doppelzüngigen Bemerkungen? War Dalton überhaupt ein Krimineller?
»Nehmen Sie doch bitte Platz. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee, Lieutenant? Ich kann eine Kanne machen.«
Ich ließ mich auf das Sofa fallen und unterdrückte ein Gähnen. »Nein danke. Ich möchte Ihnen bloß ein paar Fragen über Ihren Bruder stellen. Wussten Sie, dass er vor Kurzem das Land verlassen hat?«
Sie nickte und nahm auf einem Sessel Platz. »Es war schon immer sein Traum, auf einer Insel zu leben. Er hat sein ganzes Leben lang hart gearbeitet und Geld zur Seite gelegt. Jetzt hat er endlich genug, um sich zur Ruhe zu setzen.«
»Was hat Ihr Bruder beruflich gemacht?«
»Ich glaub, er war in der Baubranche. Er hat nie über seinen Job geredet. Ich weiß nur, dass er gut verdient hat. Er hat mir Geld für das Haus hier gegeben. Vor seiner Abreise hat er mir übrigens gesagt, dass jemand vorbeikommen wird. Er wollte, dass ich Ihnen etwas gebe. Können Sie einen Moment warten?«
Ich nickte, spürte aber gleichzeitig eine innere Anspannung. Als Janice das Zimmer verließ, griff ich unter meinen Blazer, öffnete die Klappe meines Schulterholsters und legte die Hand auf den Griff meines Revolvers. Aber als sie wiederkam, hatte sie keine Maschinenpistole oder entsicherte Handgranate bei sich, sondern lediglich ein Notizbuch.
»Ich hab keine Ahnung, was das ist«, sagte Janice und reichte es mir.
Es war ein ganz normaler Mead-Notizblock mit Spiralbindung, schwarzem Einband und siebzig Blatt Papier. Ich schlug ihn auf und stellte fest, dass er voller handgeschriebener Namen und Datumsangaben war, die in den Siebzigerjahren begannen.
Ich will jetzt nicht behaupten, dass mein Herz stehen blieb, aber zumindest fühlte es sich so an. Ich kannte nämlich einige dieser Namen. Ich blätterte die Seiten durch und überflog die über hundert Einträge in chronologischer Reihenfolge. Der letzte war zwei Tage alt – das Datum, an dem der Mann auf dem Rad zu Tode gefoltert wurde.
Was ich da in der Hand hielt, war das Tagebuch, in dem Mr. K sämtliche von ihm begangene Morde festgehalten hatte.
Ich hatte den schlimmsten Serienkiller in der Menschheitsgeschichte außer Landes fliehen lassen.
»Geht’s Ihnen nicht gut?«, fragte Janice mich. »Sie sehen ein bisschen blass aus.«
Ich bedankte mich bei ihr und verabschiedete mich. Dann schaffte ich es gerade noch aus dem Haus, ohne einen völligen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Als ich zu meinem Nova ging, fuhr Herb gerade vor.
»Jack?« Er stieg eilig aus seinem Wagen und blickte mich besorgt an.
»Dalton ist Mr. K«, sagte ich und reichte ihm den Notizblock.
»Bist du dir sicher?«
Ich nickte. »Der Junge auf dem Bild, das war er selbst. Er hat uns an der Nase herumgeführt, Herb. Und wir haben es mit uns machen lassen.«
In meinen über zwanzig Jahren bei der Polizei hatte ich noch nie einen solchen Bock geschossen. Am liebsten hätte ich mich in einem Loch verkrochen und wäre nie wieder herausgekommen. Als ich so über mein Leben nachdachte und über all die Dinge, auf die ich verzichtet hatte, um mich meiner Polizeilaufbahn zuwidmen, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass alles ein kolossaler Fehler gewesen war. Meine Ehe war gescheitert und ich hatte keine Kinder. Und was hatte ich dafür vorzuweisen? Was nützten mir all die Opfer, die ich gebracht hatte, wenn der schlimmste Verbrecher aller Zeiten es fertigbrachte, mich nach Strich und Faden zu verarschen?
»Möchtest du dich volllaufen lassen?«, fragte Herb.
»Ich würde am liebsten nach Kap Verde fliegen, das Arschloch dort aufspüren und ihm das Hirn aus dem Schädel blasen.«
»Aber du wirst es nicht tun.«
Ich sah ihn fragend an. »Warum nicht?«
»Du kannst vielleicht hin und wieder in ein Haus einbrechen und zwielichtige Privatdetektive dafür bezahlen, dass sie
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