Mr. K: Thriller (German Edition)
waren. Sie ging mit minimalem Geräusch auf und ich steckte meinen verschwitzten Kopf durch den Türrahmen und spähte mit zusammengekniffenen Augen in einen spärlich beleuchteten Flur.
Im Haus war es still. Nichts bewegte sich und ich konnte keine von Menschen verursachten Geräusche hören. Ich trat auf den gefliesten Boden und ging an einem Kruzifix an der Wand vorbei, an einem gerahmten Nagel-Poster und an einem Lichtschalter, den ich am liebsten angeknipst hätte.
Der Keller war mir fremd und feindselig vorgekommen, aber oben sah es wie in einem ganz normalen Haus aus. An einem solchen Ort durften eigentlich keine schrecklichen Dinge passieren, was das Ganze noch viel unheimlicher machte. Niemand, der hier eintrat, würde sich in seinen kühnsten Träumen ausmalen, dass im Keller ein Kühlschrank voll mit abgetrennten Köpfen stand oder dass der Bewohner Gefallen daran fand, Frauen zu entführen und zu zerstückeln.
Der Flur führte in ein anderes Zimmer. Ich hielt erneut inne und zwang mich dazu, langsam zu gehen. Als ich vorsichtig um die Ecke guckte, sah ich ein Wohnzimmer.
Darin befanden sich ein Fernsehgerät, ein Sofa und eine Stehlampe, deren schwache Glühbirne gelblich unter dem Lampenschirm schimmerte. Die Vorhänge am Fenster waren zugezogen, aber ich konnte durch den Spalt sehen, dass es draußen Nacht war. Auf einem Couchtisch lagen mehrere Lehrbücher. Auf einem davon stand
Sozialkunde: Lehrerausgabe.
Plötzlich hörte ich etwas. Von irgendwoher im Haus drang eine leise Männerstimme, zu schwach, um einzelne Worte zu verstehen.
Ich entschied mich zur Flucht und eilte durch einen angrenzenden Flur. An der Eingangstüre angekommen, packte ich den Türgriff.
Er ließ sich nicht bewegen. Die Tür war solide, aus schwerem Holz, und verriegelt.
Ich machte auf dem Absatz kehrt, lief zurück ins Wohnzimmer, kniete mich auf das Sofa und riss die Vorhänge auf.
Die Fenster waren vergittert. Ich starrte nach draußen und stellte fest, dass ich mich in einer x-beliebigen Gegend von Chicago befinden konnte. Auf beiden Seiten der von Gehsteigen und Bäumen gesäumten Straße parkten Autos. Der Vorgarten, der zu dem Haus meines Entführers gehörte, hatte einen gepflegten Rasen und ein Blumenbeet mit Veilchen.
Ich verließ das Wohnzimmer und ging um eine Ecke. Als ich das Telefon an der Wand sah, blieb ich ruckartig stehen. Ich nahm den Hörer ab und vernahm eine Männerstimme, die einen ausländischen Akzent hatte und immer lauter wurde.
»… bald um sie kümmern. Aber eigentlich kann ich es auch jetzt gleich tun. Hab gerade ein Klicken gehört. Ich glaube, sie ist wieder zu sich gekommen und hört unser Gespräch mit.«
Ich ließ den Hörer fallen, drehte mich um und rannte durch den Flur. Als ich die Küche entdeckte, blieb ich abrupt stehen und schlitterte auf meinen Sohlen über den Fußboden. Plötzlich rutschte ich auf einer Plastikplane aus. Ich verlor den Boden unter den Füßen, landete auf meinem Hintern und rutschte weiter, bis ich von Shell gebremst wurde.
Er lag auf dem Rücken und hielt mehrere Windungen Seil vor der Brust umklammert.
Ich dachte mir: Du musst hier raus, du hast keine Zeit, ihn loszubinden. Auf einmal dämmerte es mir: Das war ja gar kein Seil, das waren seine Eingeweide. Ich versuchte rückwärts wegzukriechen, aber Shells Blut war überall und ich rutschte darauf aus und kam nicht vom Fleck. Seine toten Augen lagen tief in den Höhlen, und der Mund stand sperrangelweit offen, als wäre er bei seinem letzten Schrei erstarrt. Noch bis vor Kurzem war er ein quicklebendiger Mensch gewesen. Ich hatte ihn sympathisch gefunden, ihn sogar geküsst. Und jetzt lag er da wie ein Stück Vieh, das man gerade geschlachtet hatte. Von dem Mann, den ich gekannt hatte, war nichts mehr übrig.
Plötzlich kam jemand herein und füllte den Türrahmen aus. Ein nackter, kräftig gebauter Mann, auf dessen dicht behaarter Brust Blut klebte. Sein rundliches, unrasiertes, slawisch wirkendes Gesicht sah mich belustigt an.
»Meine kleine Freundin von der Polizei ist wieder bei Bewusstsein«, sagte er mit einem leichten russischen Akzent. »Ich heiße Victor Brotsky. Wir beide werden Spaß miteinander haben, ja?«
Dann hob er eine seiner klobigen Hände, und ich bemerkte, dass er darin ein Schlachtermesser hielt.
Heute
10. August 2010
Phin spähte durch den Essensschlitz in die Isolationszelle. Victor Brotsky hockte auf seiner Pritsche. Er sah viel älter aus als auf dem Polizeifoto, was
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