Mr. Lamb
fünfhundert, tausend Meter hoch, zu einem Plateau, das vor Bäumen dunkel war, und der Highway-Rand war mit scharlachroter Kastillea gesäumt. Rinder rissen mit großen klobigen Zähnen Schafgarbe zwischen den Gräsern aus. Auf der Schulter eines toten Gabelbocks, dessen Kadaver auf dem steinigen Boden ausgestreckt lag, hockte eine Krähe. Sie passierten drei Viehgatter, überall schwarze Kühe und Bullen – zwischen den Bäumen auf der Hügelflanke, zwischen den Felsbrocken und knietief in den trockenen Bewässerungsgräben zu beiden Seiten der Straße. Die zweispurige Straße verbreiterte sich auf vier Spuren. Eine Reihe von Geschäften: der schäbige Laden eines Tierpräparators, ein Drive-through-Taco-Imbiss, ein Geschäft für Reitzubehör,Snake Creek Gemischtwaren, Pizza Hut, Sears Bekleidung, eine Kum & Go-Tankstelle mit Shop, Napa Autozubehör, ein Safeway-Supermarkt. Pappbraune Wohnblocks standen nebeneinander wie leere Schuhkartons, aufgebaut für Kinder zum Spielen. Sie kamen an einem fensterlosen Betonbau mit einem Sex-Shop vorbei. Eine kaputte Schaukel auf einem rotgrün schimmernden Felsen. Ein mageres junges Mädchen in einem rot-weiß getupften Kleid schob einen Kinderwagen. Leere Liegestühle vor dem Roundup Motel, ein lebensgroßes geschecktes Plastikpferd, das sich auf einer kleinen Insel von vulkanischem Gestein und wuchernden Gräsern aufbäumte.
»Wo sind die Menschen?«, fragte sie.
»Woanders.«
Der Stadtkern war acht Blöcke lang, kleine gelbe, blaue und grüne Häuser, jedes mit einer Veranda auf einem Zementsockel, dicht gedrängt zwischen blattlosen Pappeln, struppigen Rasenstücken und Gehwegen mit rissigem Pflaster. Es gab zwei Tankstellen, eine davon verrammelt. Ein hoher Getreidesilo mit rostigen Rändern und einem Fensterloch ohne Scheibe ganz oben, eine klaffende Öffnung, die Regen und Schnee und Graupelschauer hineinließ, die alle vom Wind herbeigetragenen Schreie und Anschuldigungen in sich hineinfraß, vom Scheitern der Unternehmen und Familienfarmen. Ein Flachbau mit einem Spirituosenmarkt warb für Angel- und Jagdlizenzen, ein Pick-up in Forstamtgrün lag auf der Seite, drumherum Ackergeräte mit modrigen Holzgriffen. Eine Eisenwarenhandlung. Ein Country-Kitchen-Restaurant. Eine weiß gestrichene Kirche.
Lamb parkte auf der Seite gegenüber dem Restaurant, an dem eine schäbige, verschossene Markise die roten und gelben Buchstaben auf der Fensterscheibe beschattete. Gegrilltes Hühnchen $ 3.99, und darunter Kaltes Bier $ 1.00. Im Schaufenster drehte sich eine Pyramide aus selbstgemachten Pastetenunter einem orangeroten Licht, und im Laden selbst stand ein massiger Mann mit Hosenträgern an der Theke und beugte sich über eine Zeitung, und in seinen großen, derben Händen hielt er eine winzige weiße Keramiktasse mit Kaffee. Im Laden hing ein Schild, auf dem stand: Zimmer zu vermieten, und Lamb blieb mitten auf der Straße stehen, die breit für den Viehabtrieb war, und hob den Blick. »Wenn du sechzehn bist, kannst du wieder herkommen und hier leben«, sagte er. »Du könntest als Kellnerin arbeiten.«
»Und da oben wohnen?«
»Wir könnten dir ein Pferd kaufen, und ein geblümtes Schürzenkleid, das deine Kellneruniform ist – eins mit langen Ärmeln, damit du ordentlich bedeckt bist, und vorn mit vielen kleinen Knöpfen. Und alle Menschen in der Stadt würden dich kennen.«
»Und wo würde ich das Pferd hinstellen?«
»Und alle würden dich lieben. Die Gäste würden sich wünschen, dass du den Sohn, den Neffen oder den Enkel heiratest. Sie sind nämlich klug. Und du wüsstest alles über sie. Du würdest die Namen ihrer Kinder, die Namen ihrer Hirten und Schäferhunde kennen. Du wüsstest über die Gesundheit ihrer Eltern Bescheid. Und du würdest zu den Stadtversammlungen gehen, im langen Rock und die Haare hochgesteckt, wie es sich für Frauen geziemt. Und du würdest die Menschen mit deinen perfekten milchweißen Zähnen anlächeln. Und ich würde draußen in dem kleinen Haus wohnen, ein alter, grauer Mann, und du hättest Mitleid mit mir und würdest auf deinem Pferd zu mir rauskommen und mir ein Stück Pfirsichkuchen und kalten Hackbraten bringen. Das würdest du doch tun, oder?«
»Aber nicht, weil du mir leidtust.«
»Ich würde dir nicht leidtun?«
»Nein.«
»Komm, mein Schatz.« Er nahm ihren Arm. »Ich werde dir etwas richtig Gutes zu essen bestellen.«
Sie überquerten die Straße und gingen auf das Bild von einem Mann mit einem Mädchen in
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