Mr Monster
geht es. Können wir dann?«
»Ja.« Sie schnappte sich eine Segeltuchtasche, die hinter der Tür stand, und kam auf die Veranda heraus. Statt der Shorts trug sie jetzt eine lange Hose, und ihr langes blondes Haar war offen und federte bei jedem Schritt. Sie sah wundervoll aus, und ich erlaubte mir, sie anerkennend zu betrachten, als sie die Tasche schulterte und die Tür schloss. Sie war schlanker als Marci und hatte weniger Kurven, war aber irgendwie eleganter. Sehr deutlich sah ich den Unterschied zwischen den beiden Mädchen vor mir. Brooke befand sich auf einer höheren Ebene, abgehoben und anmutig. Ich folgte ihr zum Auto.
»Du hast Glück«, sagte sie lächelnd. »Dad meinte, er hätte dir schon einmal auf den Zahn gefühlt, und da du dich beim letzten Mal gut geschlagen hast, muss er das nicht noch einmal tun.«
»Ich habe mich gut geschlagen?«
»Alle sind ausgeflippt, als sie die Leiche gesehen haben, nur du warst mutig genug, überhaupt etwas zu unternehmen.«
»Das liegt daran, dass mir Leichen keine Angst machen«, erwiderte ich. »Wenn man es sich richtig überlegt, sind Leichen ja die am wenigsten gefährlichen Individuen, oder? Ich meine, sie können dir nichts mehr tun. Man darf nur nicht vergessen, sich die Hände zu waschen und so.«
Brooke lachte und blieb vor ihrer Türseite stehen. Dieses Mal war ich darauf gefasst und öffnete sie ohne Zögern für sie. Ich kostete sogar die sonst verbotene Berührung des Türgriffs aus. Seit Beginn der Ferien war sie nicht mehr bei mir mitgefahren, doch die Tür war immer noch etwas ganz Besonderes. Diese Tür gehörte Brooke schon so lange, dass sie nie wieder eine gewöhnliche Autotür werden würde. Ich stieg auf meiner Seite ein und zückte die Schlüssel.
»Wohin fahren wir?«, fragte ich.
»Eins nach dem andern.« Sie tat vorwurfsvoll und hob einen Finger. »Du bist noch nicht richtig angezogen.«
Ich betrachtete mich selbst. »Nicht?« Genau das hatte ich befürchtet, und nun hatte ich trotz all meiner Bemühungen einen Fehler gemacht. Sie war viel besser gekleidet als ich. Neben ihr sah ich aus wie ein armseliger Trottel.
»Na ja, John und Brooke haben sich zwar richtig angezogen«, erklärte sie lächelnd, »aber wir sind jetzt nicht mehr John und Brooke. Wir sind Touristen.«
Was? Damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet. »Wohin fahren wir?«
»Wir fahren in das exotische Clayton«, sagte sie. Dann wühlte sie in ihrer Tasche herum, zog eine Handvoll Kleidung heraus und reichte mir ein buntes Hawaiihemd. »Zieh das an.«
Damit waren meine Erwartungen hinsichtlich dieses Abends endgültig zerstört. Ich hatte damit gerechnet, dass wir angeln oder ins Kino gehen würden, aber jetzt erwartete mich etwas völlig anderes. Ein Dutzend Mal oder öfter hatte ich den Abend in Gedanken durchgespielt, aber so etwas wäre mir in meinen kühnsten Träumen nicht eingefallen.
Brooke zog noch mehr Sachen aus der Tasche – ein grellbuntes Hawaiihemd für sich selbst und einen großen schwarzen Fotoapparat mit einem bunten Riemen. Ich hatte nicht viele Verabredungen mit Mädchen gehabt, dies war erst meine zweite. Aber in der Stadt hatte ich noch nie jemanden mit einem Hawaiihemd als Tourist herumlaufen sehen. Bei Dates kam so etwas also sicher nicht sehr oft vor.
»Kannst du irgendeinen Akzent nachmachen?«, fragte Brooke mich.
»Leider nicht.«
»Ich kann einen ziemlich dummen russischen Akzent nachmachen«, fuhr sie fort und setzte sich einen Sonnenhut mit breiter Krempe auf. »Das muss dann wohl reichen.«
Ich war unschlüssig, was ich nun tun sollte, aber es war schön, mit Brooke zusammen zu sein. Das war mir die Sache wert. Ich hob das Hawaiihemd hoch und betrachtete es. Dabei überlegte ich mir eine möglichst witzige Antwort.
»Meinst du, dein russischer Akzent ist dumm, oder klingt dein Akzent nach einem dummen Russen?« Da musste ich mir aber noch viel Mühe geben.
»Mach dich nicht lustig über Akzent.« Sie klang wie ein Schurke aus einem Bondfilm. Anscheinend übte sie oft. »Du bist Boris, ich bin Natascha. Zieh Hemd an.«
Sie streifte das Hawaiihemd über ihre anderen Sachen. Auf diese Weise bei ihr zu sein und sie ohne Verbote ansehen zu dürfen, erzeugte den gleichen verbotenen Kitzel, den ich beim Öffnen ihrer Tür empfunden hatte. Sie zog die Haare aus der übergroßen Verkleidung, sie fielen ihr in goldenen Wellen auf den Rücken hinunter. Es passte nicht mehr zusammen. Sie war immer noch Brooke, die unberührbare
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