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Mr Monster

Mr Monster

Titel: Mr Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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ist. Immerhin wir sind echt eingeborene Russki. Erstes Mal Reise außerhalb von eigenes Land.«
    Es machte Spaß, jemand anderen zu spielen. Es war eine Befreiung, als hätte ich meinen ganzen Ballast und meine Ängste hinter mir gelassen. Meine Anspannung war verschwunden, ich hatte keine Sorgen.
    Es gab keine Konsequenzen.
    Ich aß ein Stück Pommes und beugte mich vor. »Wer sind Boris und Natascha überhaupt? Woher kennen wir uns?«
    Sie erwiderte meinen Blick und musterte mich ausgiebig durch ihre billige Plastiksonnenbrille hindurch.
    »Wir zusammen in Kleinstadt außerhalb von Moskau aufgewachsen«, erklärte sie. »Claytonograd.«
    »Also kennen wir uns schon unser Leben lang.«
    »Viele Zeit, ja. Sind wir alte Freunde.«
    »Wir müssen ziemlich gute Freunde sein, wenn wir zusammen so eine Reise unternehmen«, überlegte ich. »Ich meine, Boris fährt ja nicht mit jedem nach Amerika.«
    Ein winziges Lächeln spielte um ihre Lippen. »Natascha auch nicht.«
    Ich wollte die Hand ausstrecken und sie anfassen, ihre Haut mit den Fingern spüren. Bisher hatte ich mir nie gestattet, auch nur über eine Berührung nachzudenken. Das hatte natürlich die Träume nicht verhindern können, die ich jede Nacht gehabt hatte – wie sie tot auf dem Einbalsamierungstisch lag. Wie ich ihr die Haare wusch und bürstete, wie ich ihre helle, kostbare Haut reinigte, wie ich die Totenstarre aus ihren Muskeln massierte, bis sie locker wurden und sich warm anfühlten. Es gab noch andere, dunklere Träume, doch die schob ich fort, wie ich es schon immer getan hatte. Über Gewalt wollte ich nicht nachdenken. Eins, eins, zwei, drei, fünf, acht, dreizehn.
    »Ich glaube, diese Reise nach Amerika verläuft wirklich gut«, sagte ich. »Danke für die Einladung.«
    »Danke für Kommen mit.«
    Dieser Moment war der Dreh-und Angelpunkt der ganzen Welt. Ich wollte, ich musste ihre Hand nehmen. Das hätte ich früher nie gewagt, weil es gefährliche Gedanken weckte, aber das war der alte John. Es war der John, der sie nicht einmal anblicken durfte, und für ihn war es absolut ausgeschlossen, sie zu berühren. Das galt aber nicht für Boris. Boris konnte sie anschauen, Boris kannte keine Regeln und keine Furcht. Es war überhaupt nicht gefährlich, eine Hand zu berühren, die nur ein Ding am Ende eines Arms war. Die Hand hatte den Tisch, die Sitzbank, das Essen berührt – warum konnte sie nicht auch mich berühren? Völlig ruhig streckte ich den Arm aus und legte meine Hand auf die ihre. Die Finger waren glatt und weich, genau wie in meinen Träumen. Ich hielt sie einen Moment lang, spürte ihre Haut und die Fältchen auf ihren Knöcheln, ein paar Salzkrümel von ihren Fritten. Sie erwiderte den Druck. Bebend, erregend, lebendig.
    Sie lächelte. »Sputnik.«
    Wir wechselten einen Blick, ein Summen entstand in unseren Fingern, das die ganze Welt zum Erstrahlen brachte – die Farben wurden kräftiger, die Kanten traten schärfer hervor, die Klänge waren voller und wärmer. Wir aßen einhändig und grinsten wie blöd, sprachen nicht über unsere verflochtenen Hände und trauten uns nicht, einander loszulassen. Zwischen uns war eine starke Verbindung entstanden, pulsierend, aufregend und …
    … etwas stimmte nicht.
    Ich schob den Gedanken fort, doch nachdem ich ihn erst einmal gefasst hatte, konnte ich ihn nicht mehr außer Acht lassen. So wundervoll der Moment auch war, es … es fehlte etwas. Etwas, das hätte da sein sollen, war nicht da. Wie ein hässliches Loch mitten in einem schönen Puzzle. Lag es wieder an meinen Erwartungen? War ich wütend, weil die Realität ihnen nicht gerecht wurde? Aber nein. Hundertmal oder tausendmal hatte ich mir diesen Augenblick oder einen sehr ähnlichen ausgemalt. Es fehlte nichts. Ich war aufgeregt, konnte mich beherrschen und hatte die Situation im Griff. Brooke war schön und sehnte sich genauso danach wie ich. Wie konnte da etwas fehlen?
    Und doch ließ mir das Gefühl keine Ruhe und zehrte mich auf wie ein Krebsgeschwür.
    Suchend blickte ich mich um. Im Raum war niemand, den ich kannte – niemand lachte, weinte oder brüllte mich an. In einer Ecke lief ein Fernseher, ein Zapfhahn tropfte, auf der Theke standen Serviettenboxen, Strohhalme und weiße Plastikmesser in Spendern.
    Dann fiel es mir ein.
    Mein Blick blieb an den Plastikmessern hängen, und wie ein Schlag traf mich die Erkenntnis, dass die Verbindung, die ich zu Brooke empfand, nur ein kleiner Abklatsch der überwältigenden Verbundenheit

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